Grußwort des Schriftleiters

Grußwort des Schriftleiters

Als sie aber das hörten, drang es ihnen durchs Herz, und sie sprachen zu Petrus und den übrigen Aposteln: Was sollen wir tun, ihr Männer und Brüder?

Apostelgeschichte 2,37

Seit Tagen sitzt ein verängstigter Haufen von etwas 120 Leuten in einem größeren Raum im ersten Stock eines Gebäudes irgendwo in Jerusalem. Es sind die, die übrig geblieben sind von einst tausenden, die Jesus nachfolgen wollten. Sie warten auf den Heiligen Geist, den Jesus ihnen versprochen hatte. Jesus war auferstanden, aber Jesus war auch seit ein paar Tagen nicht mehr da. Und die Ungewissheit nagt an ihnen: Was würde passieren?

Ein großes Wunder

Nach zehn Tagen des Wartens ist es plötzlich so weit. Jesus erfüllt sein Versprechen: Der Heilige Geist kommt. Zu sagen, dass sein Kommen spektakulär ist, wäre untertrieben. Denn der Heilige Geist ist begleitet von außergewöhnlichen und übernatürlichen Ereignissen. Zum einen entsteht ein so ohrenbetäubendes Windgetöse, dass es in weiten Teilen Jerusalems zu hören ist. Tausende von Menschen bekommen es mit und sind so beeindruckt, dass sie sich auf die Suche nach der Herkunft des Geräusches machen.

Daneben haben die Freunde von Jesus Feuerflammen über dem Kopf und außerdem fangen sie so an zu sprechen, dass jeder der Schaulustigen sie in seiner eigenen Muttersprache sprechen hört. Drei außergewöhnliche Wunder zeigen: Der Heilige Geist ist gekommen – und das mit einem Paukenschlag.

Sehnsucht nach Wundern

Menschen lieben diese Wunder. Damals brachten sie ganz Jerusalem dazu, zu dem Ort zu laufen, wo das Getöse herkam. Schon Jesus zog durch seine Wunder tausende von Schaulustigen an. Und auch heute ist es nicht anders:

Wäre es nicht viel einfacher zu glauben, wenn sonntagsmorgens alle Gemeindeglieder eine Feuerflamme auf dem Kopf hätten? Wären nicht viel mehr Leute an Jesus interessiert, wenn statt Kirchenglocken das Getöse eines Tornado zum Gottesdienst rufen würde? Wäre das christliche Leben nicht viel angenehmer, wenn Gott viel öfter heilen würde? Warum hat Gott die Pfingstwunder nicht einfach zu einer dauerhaften Gemeindeeinrichtung gemacht? Würden die Gemeinden dann nicht aus allen Nähten platzen?

Zeichen und Wunder

Wenn wir uns nach mehr Wundern sehnen, müssen wir zwei Dinge bedenken:

Erstens: Die meisten Wunder in biblischen Zeiten sind im Kern Bestätigungszeichen. Sie sind nicht dazu gegeben, um das Leben angenehmer oder die Botschaft von Jesus attraktiver zu machen. Die Wunder bestätigen, dass Jesus und später seine Diener im Auftrag Gottes handeln und sprechen. Im Kern steht die Botschaft, die Predigt des Evangeliums. Die Zeichen und Wunder unterstreichen „nur“ die göttliche Herkunft und Autorität der Verkündigung. Der Schreiber des Hebräerbriefs betont das: Diese [Botschaft der Errettung] wurde ja zuerst durch den Herrn verkündigt und ist uns dann von denen, die ihn gehört haben, bestätigt worden, wobei Gott sein Zeugnis dazu gab mit Zeichen und Wundern und mancherlei Kraftwirkungen und Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen (Hebr 2,3b.4).

Zweitens: Wunder an sich schaffen keinen Glauben. Das überrascht uns heute, denn wir denken oft: Wenn Gott sich einmal richtig zeigen würde, dann würden die Menschen sich an ihn wenden. Aber das Problem ist nicht nur fehlendes Wissen der Menschen, sondern ihr gesamtes Herz. In seiner Pfingstpredigt sagt Petrus den Zuhörern: „Gott hat Jesus durch die Zeichen und Wunder als Sohn Gottes beglaubigt und ihr wisst das auch“ (Apg 2,22) – in Klammern – „und trotzdem glaubt ihr nicht“. In dem Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus bittet der reiche Mann in seinen Qualen, dass wenigstens seine Angehörigen durch das Wunder einer Auferstehung gewarnt werden sollen. Abraham antwortet ihm: Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, so würden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer aus den Toten auferstände! (Lk 16,31) Gottes Wort – hier zusammengefasst als Mose und die Propheten – schafft den Glauben, Wunder tun das nicht.

Gegen jede Erwartung

Grob gesagt passierten an diesem Pfingsttag zwei Dinge. Zum einen gab es die drei Wunderzeichen: Wind, Feuerflammen und fremde Sprachen (Apg 2,1-13). Zum anderen hielt Petrus eine Predigt (Apg 2,14-36) mit der Kernaussage: Liebe Juden, Jesus ist wirklich der Messias, der Sohn Gottes und ihr habt ihn vor ein paar Wochen bösartig umgebracht (Apg 2,23.36).

Die Wunder brachten tausende von begeisterten und sensationslustigen Menschen auf die Straße. Die Predigt hätte dieselben Menschen gut und gerne dazu bringen können, Petrus für seine – aus ihrer Sicht –unverschämte Unterstellung auf der Stelle umzubringen. Jeder Marketingexperte würde sagen: Die Wunder waren die bestmögliche Werbung für Jesus, die Predigt war ein absolutes Desaster: konfrontativ, provokativ, destruktiv.

Aber gegen alle menschlichen Erwartungen passiert das genaue Gegenteil: Nach den Wundern kommen zwar alle zusammen, aber keiner glaubt. Die einen sind verwirrt, die anderen spotten (Apg 2,12.13). Aber nach der Predigt drang es ihnen durchs Herz (Apg 2,37) – und zwar als sie es hörten (und nicht als sie sahen). Normal wäre gewesen, dass die aufgebrachten Zuhörer ein Schwert durch das Herz von Petrus gerammt hätten. Stattdessen rammt sich das Wort Gottes, das Schwert des Geistes (Eph 6, Hebr 4), aus Petrus‘ Mund in die Herzen seiner Zuhörer. Anstelle eines Mordversuchs steht bei den Zuhörern die verzweifelte Frage: Was sollen wir tun, ihr Männer und Brüder? Tausende von Menschen kommen zum Glauben – nicht durch Wunder, sondern durch die nüchterne und an diesem Tag sogar extrem harte Verkündigung des Evangeliums.

Das wahre Wunder

Das eigentliche Pfingstwunder besteht darin, dass der früher so ängstliche und wankelmütige Petrus diese Predigt überhaupt hält – und dass er sie anschließend überlebt. Das ist das Wirken des Geistes. Es ist nicht spektakulär. Aber genauso wirkt der Geist auch heute noch. Sonntag für Sonntag, wenn das Evangelium verkündigt wird, dringt der Heilige Geist in tote, harte, müde und träge Herzen – nicht durch Spektakel, nicht durch Wunder, sondern durch das lebendige Wort Gottes, das in Ewigkeit bleibt.

Es ist mein Gebet, dass dieses Wort Gottes durch die Artikel dieser 94. Ausgabe der Bekennenden Kirche ganz neu durch Ihre Herzen dringt!

Ihr

Jochen Klautke