Der Heidelberger Katechismus (1563) gehört zu den bekanntesten Bekenntnistexten der Reformation. Er behandelt auch jene Frage, die selbst unter bekennenden Christen umstritten ist: die Tauffrage. Dabei lehnt der Katechismus die „Taufwiedergeburtslehre“ als unbiblisch ab, denn das Heil wird allein im Glauben (sola fide) ergriffen. Zugleich verteidigt er die Kindertaufe als eine biblisch legitime Praxis. Der folgende Beitrag geht auf eine Predigt des Verfassers zurück und wurde für den Druck überarbeitet.
Heidelberger Katechismus, Fragen 72-74 (Sonntag 27)
Frage 72: | Ist denn das äußerliche Wasserbad die Abwaschung der Sünden selbst?Nein, denn allein das Blut Jesu Christi und der Heilige Geist reinigt uns von allen Sünden. |
Frage 73: | Warum bezeichnet denn der Heilige Geist die Taufe als das „Bad der Wiedergeburt“ und als „Abwaschung der Sünden“? Gott redet so nicht ohne große Ursache: Er will uns damit lehren: Wie die Unsauberkeit des Leibes durch Wasser, so werden unsere Sünden durch Blut und Geist Christi hinweggenommen. Ja, vielmehr: Er will uns durch dieses göttliche Pfand und Wahrzeichen gewiss machen, dass wir so wahrhaftig von unseren Sünden geistlich gewaschen sind, wie wir mit dem leiblichen Wasser gewaschen werden. |
Frage 74: | Soll man auch die kleinen Kinder taufen?Ja, denn sie gehören ebenso wie die Erwachsenen in den Bund Gottes und in seine Gemeinde. Auch ihnen wird nicht weniger als den Erwachsenen in dem Blut Christi die Erlösung von den Sünden und der Heilige Geist, der den Glauben wirkt, zugesagt. Darum sollen auch die Kinder durch die Taufe, das Zeichen des Bundes, in die christliche Kirche als Glieder eingefügt und von den Kindern der Ungläubigen unterschieden werden, wie es im Alten Testament durch die Beschneidung geschehen ist, an deren Stelle im Neuen Testament die Taufe eingesetzt wurde. |
In den Jahrhunderten, die der Reformation des 16. Jahrhunderts unmittelbar folgten, pflegte man sonntags zweimal zum Gottesdienst zu gehen, einmal vormittags und einmal nachmittags. Am Morgen hörte man eine Predigt aus dem Wort Gottes, am Nachmittag in den evangelisch-reformierten Gemeinden eine Auslegung zum Heidelberger Katechismus (HK). Die Verfasser des HK teilten den Katechismus entsprechend der Wochenzahl in 52 Teile ein. Damit war für jeden Sonntag im Jahr ein Abschnitt vorgesehen. Auf diese Weise wurde die Gemeinde geschult, das heißt systematisch in der biblischen Lehre unterwiesen. Am 26. und 27. Sonntag steht das Thema „Taufe“ auf dem Programm, bei letzterem geht es um die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Auffassungen zur Taufe.
Zunächst spricht sich der HK gegen die Lehre aus, dass durch den Vollzug der Taufe, also durch die Taufhandlung selbst, der Mensch vom Unheil zum Heil komme (Frage 72 und 73). Diese Lehre bezeichnet man heute häufig als Taufwiedergeburtslehre, sie wird im HK als unbiblisch zurückgewiesen. Zum andern setzt sich der Katechismus mit der Frage auseinander, ob Kinder überhaupt getauft werden dürften, oder ob die Taufe denjenigen vorbehalten bleiben müsse, die vorher einen bewussten Glaubensschritt getan haben, also in der Regel den Erwachsenen (Frage 74). Warum, so fragt der HK, ist die Kindertaufe im Licht der Heiligen Schrift eine berechtigte, eine gute Sache?
Wie Jesus die Kinder sieht
Bevor wir über die Kindertaufe nachdenken, möchte ich grundsätzlicher fragen: Wie sieht Jesus Christus das Kind? Wenn man die großen Religionsstifter nebeneinander stellt – bitte sehen Sie es mir nach, daß ich hier für einen Augenblick unseren Herrn und Heiland in diese Gruppe einreihe, also für einen Vergleich neben Buddha, Mohammed u.a. stelle – dann ist unser Herr der einzige, der seine Aufmerksamkeit auch den Kindern zuwendet. Mindestens an drei Stellen der Bibel wird uns darüber berichtet.
In Mt. 18 fragen die Jünger ihren Herrn: „Wer ist der Größte im Reich der Himmel (Reich Gottes)?“ (V.1). Darauf holt Jesus ein Kind in den Kreis der Jünger und erwidert: „Wenn ihr euch nicht bekehrt und werdet wie die Kinder, so [wie ihr jetzt seid] werdet ihr nicht in das Reich der Himmel (Reich Gottes) hineinkommen“ (2-3).
Ist uns hier etwas aufgefallen? Unser Heiland geht auf die Frage der Jünger, wer im Reich der Himmel in der ersten Reihe sitzt, sozusagen zur „Prominenz“ gehört, gar nicht ein. Er nimmt die Frage scheinbar gar nicht zur Kenntnis, sondern beantwortet stattdessen eine ganz andere Frage: Wie kommt man überhaupt in das Reich Gottes hinein? Auf diese Frage lautet seine Antwort: Ihr müsst werden wie ein Kind!
Im Blick auf unsere Fragestellung kann man einwenden, hier beziehe sich der Herr lediglich im Sinn eines Vergleichs auf ein Kind. Ähnliche Vergleiche verwendet jeder von uns häufig. Wenn einer faul ist, dann bemerken wir: „Du musst fleißig sein, schau dir einmal die Ameisen an.“ Wenn jemand nicht treu ist, dann kommentieren wir das mit dem Satz: „Jeder Hund ist treuer als dieser oder jener Mensch.“ Indem wir solche Vergleiche ziehen, geht es uns bestenfalls am Rande darum, eine Aussage über einen Hund oder über eine Ameise zu machen. Entsprechend, so könnte man sagen, macht Jesus hier keine Aussage über das Kind als solches. Aber lesen wir den Abschnitt weiter! Dort zieht unser Herr die Kinder nicht nur im Sinn eines Vergleichs heran, sondern er macht auch Aussagen über Kinder selbst. Mt. 18,5: „Wer irgend ein solches Kindlein aufnehmen wird in meinem Namen, nimmt mich auf.
Mt. 18,6: „Wer einem Kindlein ein Ärgernis bereiten wird, dem ist es besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt wird.“ Mt. 18,10: „Sehet zu, dass ihr die Kleinen nicht verachtet, denn ihre Engel in den Himmeln schauen allezeit das Angesicht meines Vaters, der in den Himmeln ist.“ Diese letzte Aussage besagt doch: Die Kinder sind niemand Geringeren als Engeln anvertraut. Das brachte Theologen in früheren Zeiten zu der Auffassung, jedes Kind habe seinen eigenen Schutzengel. Das mag sein. Aber so steht es nicht in der Bibel. Jedoch halten wir fest: Ein Hund ist ein Hund. Eine Ameise ist eine Ameise. Aber ein Kind ist jemand, auf das die Engel im Himmel achten!
Mehr noch: Es sind keineswegs „nur“ Engel, die sich um Kinder kümmern! Gleich darauf erklärt der HERR: „Der Sohn des Menschen ist gekommen, das Verlorene zu erretten“ (Mt. 18,11). Um diese Aussage zu unterstreichen, erzählt Jesus ein Gleichnis. Es ist das Gleichnis von dem Mann, der hundert Schafe hat, von denen eines in die Irre läuft. Daraufhin lässt der Hirte die 99 Schafe allein zurück und sucht das verirrte Schäflein, bis er es gefunden hat. Dann, so heißt es, freut er sich mehr über dieses Schaf als über die 99, die nicht verirrt waren. Die Pointe dieses Gleichnisses lesen wir in Mt. 18,14: „So ist es nicht der Wille eures Vaters, der in den Himmeln ist, dass eines dieser Kleinen verloren gehe.“ Wenn es also ein Gleichnis gibt, das unser Herr speziell im Blick auf die Kinder erzählt hat, dann ist es dieses Gleichnis von dem verlorenen Schaf!
Wie denken wir über unsere Kinder? Würden wir solche Aussagen, wie der Herr sie hier formuliert, über Kinder machen? Können wir mit unseren Kindern überhaupt das Lied singen: „Weil ich Jesu Schäflein bin …“? Oder erblicken wir in ihnen nur (vorläufige) „Heiden“?
Jesus lädt Kinder ein
Einige Zeit nach der geschilderten Situation machen sich die Jünger Gedanken über das Thema der Ehescheidung. Genau zu diesem Zeitpunkt kommen Eltern mit ihren Kindern zu Jesus (Mt.19,13). Sie wollen, dass der Heiland ihren Kindern die Hände auflegt und sie segnet. Doch die Jünger weisen diesen Wunsch zurück. Ihr Nachdenken und Diskutieren über Beziehungs- und Eheprobleme nimmt sie so sehr in Beschlag, dass sie für Kinder keinerlei Zeit finden.
Außerdem zeigt ihre Reaktion, wie sie Kinder wahrnehmen. Ihre Sichtweise entspricht ziemlich genau jener Haltung, mit der man damals über Kinder zu denken pflegte: Ein Kind ist in erster Linie „Rohmaterial“, das geformt werden muss, das den richtigen Schliff bekommen muss. Solange ein Kind diesen Schliff noch nicht hat, das meinte für sie: noch nicht Erwachsener ist, zählt es nicht wirklich mit. Folglich jagen die Jünger die Kinder zusammen mit ihren Eltern weg (Mt. 19,13). Da schaltet sich Jesus ein: „Lasset die Kindlein zu mir kommen, und wehret ihnen nicht, denn Ihnen gehört das Reich der Himmel“ (Mt. 19,14).
Wie denken wir über unsere Kinder? Sehen wir in ihnen Rohmaterial? Oder sind wir davon überzeugt, dass ihnen – genau wie uns – das Reich Gottes verheißen ist?
Gotteslob der Unmündigen
Das dritte Ereignis, bei dem der Sohn Gottes über Kinder spricht, wird uns in Mt. 21 berichtet. Jesus hatte gerade den Tempel gereinigt und Blinde sowie Lahme geheilt. Auf einmal fangen die Kinder an, Jesus zu preisen: „Hosanna, dem Sohne Davids“! Sofort bringen der Hohenpriester und die Schriftgelehrten ihren Unwillen zum Ausdruck (Mt. 21,15-16). Aber Jesus erinnert diese Theologen an eine Stelle aus den Psalmen. „Habt ihr nicht gelesen: Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du dir Lob bereitet“ (Mt.21,16 – Ps.8,3).
Noch einmal sei gefragt: Wie denken wir über unsere Kinder? Jesus sagt hier nicht, dass sich alles um die Kinder drehen müsse, dass sie die Zukunft des Reiches Gottes seien (nach dem Motto „Wer die Jugend hat, der hat die Zukunft“). Aber der Herr besteht darauf, dass Gott sich auch aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge (!), Lob zu bereiten vermag – ob das den theologisch Geschulten nun passt oder nicht.
Aus diesen drei Abschnitten des Matthäusevangeliums geht deutlich hervor: Kinder haben für unseren Herrn einen sehr, sehr hohen Wert! Allerdings müssen wir an dieser Stelle sofort einem Missverständnis wehren: Nirgendwo wird unser Heiland im Blick auf die Kinder romantisch! Kinder sind nicht deswegen bei dem Herrn Jesus willkommen, weil sie so niedlich sind oder weil sie als unschuldig gelten! Nirgendwo erweckt das Wort Gottes den Eindruck, als seien Kinder unschuldig. Vielmehr macht die Bibel deutlich: Alle, also auch unsere Kinder, sind in Sünde empfangen und geboren. In ihnen steckt bereits von Anfang an alles Böse drin. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann es „herauskommt“. Wir brauchen nur lange genug zu warten. Jeder Mensch ist böse, und zwar von Jugend an! Dies bezeugt Gott, der Herr, unmittelbar nach der Sintflut über die Menschen (1. Mose 8,21).
Was Kinder Erwachsenen voraushaben
Aber eines, was für das Eingehen in das Reich Gottes so entscheidend ist, haben Kinder uns Erwachsenen voraus: sie haben nichts Eigenes vorzubringen. Ein Kind stellt uns vor Augen, was Abhängigkeit, Hilflosigkeit, Schutzlosigkeit bedeutet. Wie schnell verstricken sich Kinder in Umstände, die sie nicht überblicken können! Sie merken schnell, wie sehr sie auf fremde Hilfe eines Stärkeren angewiesen sind. Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder …
Zur Zeit Jesu war es keineswegs normal, Erwachsenen mit Hilfe eines Kindes etwas beibringen zu wollen. Zu jener Zeit war es mehr als nur außergewöhnlich, es war für die Zuhörer geradezu ein Ärgernis, sich anhören zu müssen: „Wenn ihr euch nicht bekehrt, wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, dann kommt ihr nicht in das Reich der Himmel hinein!“ Lassen Sie uns eines nicht übersehen: Wenn Jesus sagt, es ist nicht der Wille eures Vaters, der in den Himmeln ist, dass eines dieser Kleinen verloren geht (Mt. 18,14), dann entspringt eine solche Aussage dem Zentrum des Evangeliums.
Ich begann mit der Frage: Was denken wir über die Kindertaufe? Wir gingen dann auf die Frage zurück: Was denken wir über die Kinder? Jetzt sind wir bei der Frage angelangt: Was denken wir über uns selbst? Jesus macht hier deutlich: Du weißt nicht, wer du selbst bist, wenn du nicht wie ein Kind in die Gegenwart des Herrn trittst. Das heißt: mit leeren Händen und abhängig, ganz abhängig von seinem suchenden Erbarmen.
Kann man Gottes Gnade „erben“?
Vor diesem Hintergrund möchte ich nun einige Einwände prüfen, die von Mitchristen gegen die Kindertaufe vorgebracht werden. Der erste lautet: Da jeder für sich selbst glauben muss, kann man Gottes Gnade nicht vererben. Diesem Satz muss ich zustimmen. Gottes Gnade ist kein „Erbgut“, denn niemand kommt deshalb in das Reich Gottes hinein, weil seine Eltern an Jesus Christus glauben. Die Heilige Schrift kennt keinen „Heilsautomatismus“ von Eltern hin zu ihren Kindern. Insofern gilt der bekannte Satz: Gott hat keine Enkelkinder, sondern nur Kinder.
Aber so sehr es zutrifft, dass es keinen Heilsautomatismus gibt, kein vererbbares Heil, sollten wir dennoch aus anderer Perspektive über das Wesen eines „Erbes“ nachdenken. Wenn jemand von seinem Vater 10 Millionen Euro erbt, dann kann er sagen: Mir sind 10 Millionen in den Schoß gefallen, und ich habe absolut nichts dafür getan. Es ist das charakteristische Kennzeichen eines Erbes, dass man nichts dafür geleistet hat. Genau das aber entspricht unserer Errettung. Das in Christus empfangene Heil ist ein Geschenk, für das niemand etwas getan hat. Insofern entspricht es völlig dem, was wir normalerweise als „Erbgut“ bezeichnen. Wir haben nichts, absolut nichts dafür getan. Niemand von uns! Die Gnade ist ein völlig freies Geschenk, das wir im Glauben ergreifen. Der Glaube macht nicht selbst das Heil, sondern ergreift es in Christus. Wir hatten und haben nichts Eigenes vorzubringen. Denn niemand kommt anders in das Reich Gottes hinein als wie ein Kind (Mt.18,3)! Wenn du wissen willst, wie du das Heil in Christus empfängst, dann nimm dir bitte ein Kind zum Vorbild. Ein Mensch ist deshalb Christ geworden, in das Reich Gottes hineingelangt, zum rettenden Glauben gekommen, weil sich Gott in seiner Liebe zu ihm herabgeneigt hat. Gottes Heil in Christus ist dir in den Schoß gefallen! Diese Wahrheit wird im Taufgeschehen als einem „göttlichen Wahrzeichen“ (Frage 73) abgebildet und versiegelt.