Die heilsame Wirkung des Gesetzes

Die heilsame Wirkung des Gesetzes

In der letzten Ausgabe veröffentlichten wir einen Aufsatz von Prof. Paul Wells (Aixen-Provence/Frankreich) über „Die Predigt des Gesetzes“ (BK 11, S.10-15). Das Thema wird diesmal fortgesetzt durch Ulrich Motte (München), der „Die heilsame Wirkung des Gesetzes“ für Christen erläutert.

Großen Frieden haben, die dein Gesetz lieben.

Psalm 119,165

Gesetze sind Gebote, etwas zu tun oder etwas zu unterlassen. Gebot und Gesetz sind demnach austauschbare Begriffe. Die Theologie unterscheidet das Gesetz Gottes auch nach drei verschiedenen „Gebräuchen“ (Funktionen). Den ersten Gebrauch des Gesetzes charakterisiert das Wort „Riegel“. Gebote Gottes wie „Du sollst nicht morden“ oder „Du sollst nicht stehlen“ sind ein Riegel gegen den Zusammenbruch der gesellschaftlichen und politischen Ordnung. Alle Menschen und alle Staaten, christlich geprägt oder nicht, sind darauf irgendwie angewiesen. Der Begriff „Spiegel“ kennzeichnet den zweiten Gebrauch des Gesetzes. So wie man im Spiegel im Badezimmer sein wahres Äußeres erkennt, erkennt man im Spiegel des Gesetzes Gottes die Wahrheit über sein Inneres: Wir sind alle Sünder, weil kein Mensch das Gesetz Gottes vollkommen einhält. Der dritte Gebrauch des Gesetzes dient als „Regel“, als Verhaltensnorm für Christen. Dieser dritte Gebrauch durch uns Christen dient verschiedenen Zwecken, die ich im Folgenden kurz erläutern will.

Das Gesetz als Erkennungszeichen des Christen

Glaube ohne gute Werke, also ohne Befolgung der Gebote Gottes, ist nur ein „toter“ Glaube, wie unter anderem der Jakobusbrief 2,26 zeigt. Wer Gottes Geboten gar nicht folgt, täuscht sich, wenn er sich für einen Christen hält. Sowenig gute Werke zum ewigen Heil, zum In-den Himmel-Kommen beitragen können, so unverzichtbar sind sie als Zeichen des Glaubens. Man kann sie, die guten Werke, vielleicht mit dem Atmen nach einer lebensrettenden Herzoperation vergleichen. Gerettet wird man durch die Operation, nicht durch das Atmen danach. Aber das Atmen danach zeigt, dass die Operation erfolgreich war. Wo keine Atmung geschieht, da war vorher keine Rettung erfolgt. [1]

Gehorsam gegenüber dem Gesetz als praktizierte Liebe zu Gott

Ein Pharisäer fragte Christus: „Was ist das vornehmste Gebot Gottes?“ Christus antwortete ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte“ (Mt 22,36–37). Gott zu lieben heißt „an ihm zu hängen, sein Glück als eigenes Glück zu empfinden, ihm nur Gutes zu wünschen“. Wir kennen solche Liebe aus unserer Liebe zum Ehepartner und zu anderen Familienangehörigen. Aber solche Liebe muss ebenfalls Folgen haben, um echt und rein zu sein. Christus sagt im Johannes-Evangelium, wie das geht: „Liebt ihr mich, so haltet meine Gebote.“ (Joh 14,15)

Demnach sind Liebe und Gesetz Gottes also zwei Seiten einer Medaille. Das widerspricht dem gängigen Schema bibelkritischer Theologie. Praktisches Beispiel dafür ist die Diskussion um die kirchliche Billigung der Homosexualität. Liebe ist immer gut, wird da etwa behauptet, egal was Gottes Gebot dazu sagt. Als ob es nicht gerade bei der geschlechtlichen Liebe schlimmste Verirrungen und Schädigungen an unseren Nächsten gäbe! Die Liebe zur Frau des Freundes statt zur eigenen oder gar als „Liebe“ bezeichneter „Sex“ mit Minderjährigen sind dafür bekannte Beispiele. Und wie viele Deutsche haben Hitler unendlich geliebt! Und im ersten Gebot „Du sollst keine anderen Götter haben“ verbietet Gott Liebe zu Buddha oder Allah! Gott zu lieben, aber nicht sein Gesetz, ist also ein Widerspruch in sich selbst.

Gehorsam gegenüber dem Gesetz als praktizierte Nächstenliebe

Die Nächstenliebe und die Liebe zu Gott sind nach Jesus nicht voneinander zu trennen (Mt 22,37-40). Wenn ich Gottes Gesetze befolge, hilft das dem Nächsten natürlich. Das folgt schon aus dem Gebot, ihn zu lieben. Auch hier zeigt sich, dass Gebote und Liebe untrennbar verbunden sind: Die Gebote, den Nächsten nicht zu bestehlen oder gar zu töten, sind dafür weitere Beispiele.

Gehorsam gegenüber dem Gesetz als praktizierte „Eigenliebe“

Eigenliebe könnte als Egoismus missverstanden werden. Ich meine hier aber nur ein Verhalten, das einem selbst nützt, nicht unbedingt falsche, überzogene, selbstsüchtige Eigenliebe (Egoismus). „Wer aber das Gesetz fürchtet, dem wird’s vergolten“, heißt es in Sprüche 13,13.

Das kann sich auf eine Belohnung im Himmel beziehen. Gott belohnt gute Taten im Himmel reichlich, ohne sich auf die genaue Art der Belohnung in der Bibel festzulegen. Aber auch hier auf Erden belohnt Gott Gesetzestreue. Das gilt sicher nicht immer und auch nicht auf eine immer so einfache Weise: Mancher Dieb und Diktator kommt besser durchs Leben als mancher „Brave“. Gottes Reich der vollendeten Gerechtigkeit ist eben nicht von dieser Welt. Aber im Allgemeinen kommt derjenige, der etwa fleißig und sparsam statt faul oder verschwenderisch ist, der seinen Körper als Tempel des Heiligen Geistes schont, statt übermäßig zu essen oder (Alkohol) zu trinken, besser durchs Leben. Auch eheliche Treue macht glücklicher und ist gesünder als Hurerei.

Das Gesetz als Schutz vor dem Sündigen

Das Halten des Gesetzes bewahrt vor dem Sündigen, ist insofern ein Schutz für den Christen. Allerdings sagt die Bibel zugleich sehr deutlich, dass wir diesseits des Himmels auch als Christen noch Sünder bleiben und darum täglich der Vergebung bedürfen (vgl. Röm 7). Und wo es uns geschenkt wird, im Gehorsam zu leben, da geschieht dies durch Gottes Gnade.

Das Gesetz als Entlastung

Das Gesetz ist zunächst Belastung. Denn es fällt uns ja schwer, Gottes Gebote zu halten. Aber das Gesetz ist auch Entlastung. Viele, keinesfalls alle, Entscheidungen nimmt das Gesetz einem ab: Gott hat für mich entschieden, dass ich nur eine Frau haben soll. Und am Sonntagmorgen weiß ich, dass ich in den Gottesdienst gehen soll. Ich muss also nicht zwischen Fußball und Fernsehen wählen, um nur ganz primitive Beispiele zu erwähnen.

Das Gesetz als Alternative zur Autonomie

Befolge ich Gottes Gesetze nicht, lebe ich „autonom“. Autonomie heiß Eigengesetzlichkeit: Ich richte mich nach mir selbst. Dieses eigene Gesetz, ich tue, was ich will, ist aber weder immer gut noch im eigentlichen Sinn mein „Eigen“. Auch vermeintlich eigenes ist oft von außen beeinflusst. Sogar die von gottloser Weltanschauung geprägte Psychoanalyse hat doch herausgefunden, dass uns im Innersten Ängste (und Triebe) treiben, von der Todesangst bis zur Anerkennungsgier, und gerade nicht ein edler und weiser Verstand oder eine gute Vernunft. Durch die Bibel wissen wir genauer, dass unser Herz entweder vom Geist Gottes oder dem des Teufels bestimmt wird.

Der Teufel will uns aber vom Gesetz Gottes zu seinem Ungeist verführen. Und das tut er durch den Köder der vermeintlichen Autonomie: Er gaukelt uns vor, wir seien uns selbst Gesetz, könnten „gut“ von „böse“ nach eigenen Gesetzen unterscheiden. Das Mittel dazu ist die Kritik an Gottes Wort: „Soll Gott wirklich gesagt haben, dass Homosexualität Sünde sei? Gott weiß doch, dass unsere moderne Erkenntnis es uns ermöglicht, über seine Gebote hinweg zur besseren Erkenntnis zu kommen“, sagen bibelkritische Theologen heute.

Im Paradies gab Gott sein Wort noch direkt-mündlich. Aber das Unglück begann auch dort durch Zweifel am Wort Gottes: Gott gebot bekanntlich, nicht vom Baum (der Erkenntnis!) zu essen. Die Schlange aber sprach: „Sondern Gott weiß, dass welches Tages ihr davon esset, so werden eure Augen aufgetan (in moderner Sprache: Ihr werdet aufgeklärt sein), und werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist“ (1.Mo 3,5). Gottes Gesetz zu befolgen, hindert also die tödliche Selbstvergottung des Menschen.

Das Gesetz als Friedensquelle

Der erste Gebrauch des Gesetzes dient dem Erhalt des äußeren Friedens, also der Abwesenheit von Krieg und Verbrechen. Äußerer Friede herrscht auf Erden bekanntlich nicht. Wer sich aber in Gott geborgen weiß, wer weiß, dass Gott ihm seine Unvollkommenheit, die Unfähigkeit, Gottes Gebote vollständig zu halten, die Sünden also, verzeiht, findet mehr zu innerem Frieden (Zufriedenheit). Und das gilt auch für das Halten von Gottes Geboten, vor allem, wenn man dies aus Freude und Dankbarkeit tut. Ganz einfach ausgedrückt: Man hat dann kein schlechtes Gefühl wegen seiner Sünden. Man fühlt, dass man im Einklang mit Gottes Willen lebt. Das gilt umso mehr, wenn man mit anderen zusammen lebt, die sich auch nach Gottes Geboten richten wollen. Eine Gemeinschaft der Liebe und der Rechtschaffenheit, auch wenn sie noch aus (begnadigten) Sündern besteht, schafft Geborgenheit. Das gilt für die Familie und für die Gemeinde als Familie Gottes.

Ähnliches meint wohl der Psalm 1, wenn er von der „Lust“ am Gesetz Gottes spricht: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Sünder, noch sitzt, wo die Spötter sitzen, sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht.“ Machen wir uns und anderen Lust auf das Gesetz des Herrn!


[1]: Was diese Frage mit der Heilsgewissheit zu tun hat, ist ein weiteres, vor allem seelsorgerliches Thema, das in diesem Rahmen nicht weiter erörtert werden kann.