Das dritte Buch Mose, auch Levitikus genannt, ist in christlichen Gemeinden oft nicht leicht zu vermitteln. Es muss sich wichtigen Fragen stellen: Warum sollten sich Christen mit den Opfern, dem Priestertum und den Speisegesetzen des Alten Testaments beschäftigen? Die neutestamentliche Gemeinde funktioniert schließlich nicht wie das Volk Israel. Die Speisegesetze wurden von Jesus aufgehoben und die Opfer sind durch seinen Tod erfüllt. Somit stellt sich die Frage, ob sich eine Beschäftigung mit dem 3. Buch Mose lohnt. Angesichts dieser herausfordernden Anfragen ist es kaum verwunderlich, dass dieses Buch der Bibel nur selten gepredigt wird. Dabei hat das 3. Buch Mose dem heutigen Volk Gottes einiges zu sagen.
Levitikus ist direkte Offenbarung Gottes
Für die Gläubigen des Alten Testaments stellte dieses Buch eines der grundlegenden Werke dar. Es bestimmte sowohl den Gottesdienst als auch den Alltag. Doch nicht nur das ist von Belang. Im Vergleich zu den übrigen Büchern des Pentateuch ist dieses als direkte Offenbarung Gottes verfasst. Der Großteil des Buches besteht aus göttlichen Reden, die Moses an das Volk hielt. Diese Betonung wird mit dem allerersten Wort des Buches eingeleitet („und er rief“), welches auch als hebräischer Titel des Buches dient. In anderen Worten: Der Inhalt des Buches ist eine direkte Botschaft Gottes. Der Ton der göttlichen Autorität ist nicht nur am Anfang des Buches zu finden, sondern zieht sich auch durch das gesamte Buch. Von den insgesamt 27 Kapiteln beginnen 20 mit der Formulierung „Der Herr redete zu Mose“.[1] Die Art und Weise der Übermittlung des Buches an das Volk Gottes verleiht dem Buch eine herausragende Bedeutung, zumindest für die damaligen Empfänger.
Levitikus richtet sich an das ganze Volk
Wer aber waren die ursprünglichen Empfänger dieses Buches? Das Buch wurde zu Moses Lebzeiten höchstwahrscheinlich am Berg Sinai oder in der Wüste auf dem Weg nach Kanaan verfasst. Die Septuaginta bezeichnet das dritte Buch Mose mit dem Titel „Leuitikon“, welcher mit „was die Leviten betrifft“ oder frei mit „Buch der Leviten“ übersetzt werden kann. Die Leviten waren die Nachkommen des Priesterstammes Levi, der für das Heiligtum und den Gottesdienst im Volk Israel zuständig war. In der Tat finden sich in Levitikus Anweisungen für die Priester. Überraschenderweise richtet sich das Buch jedoch hauptsächlich an das gesamte Volk Gottes und nur in geringem Maße ausschließlich an die Leviten.[2] Levitikus beschreibt demnach eine Heiligkeit, die für alle gilt, und nicht eine Heiligkeit, die sich lediglich auf eine Gruppe innerhalb des Volkes Gottes beschränkt.
Levitikus erzählt die Geschichte Gottes mit seinem Volk weiter
Das dritte Buch Mose knüpft an die Erzählungen des zweiten Buches Mose an. Das Buch Exodus zeichnet Gottes Weg mit Israel nach: Die Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten durch Gott und die Führung Israels zum Berg Sinai, wo Gott mit ihnen einen Bund schließt. Im Anschluss weist Gott die Israeliten an, eine Stiftshütte zu bauen, was sie auch tun. Der Beginn des Buches Levitikus ist durch einen entscheidenden Hinweis gekennzeichnet: „Und der HERR rief Mose, und er redete zu ihm aus der Stiftshütte und sprach“ (Lev 1,1). Das Buch knüpft also nahtlos an den Bericht des zweiten Buches Mose an. Als die Stiftshütte fertiggestellt wurde, wird in Ex 40,34 berichtet, dass die Wolke die Stiftshütte bedeckte und die Herrlichkeit des Herrn die Wohnung erfüllte. Am Ende des Buches Exodus lässt sich somit festhalten, dass Gott bereits inmitten seines Volkes wohnt. Diese Darstellung verweist auf die ungestörte Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen im Garten Eden vor dem Sündenfall und gibt einen Vorgeschmack auf die ewige Herrlichkeit. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es einen Schatten gab, auf den Ex 40,35 hinweist: Und Mose konnte nicht in die Stiftshütte gehen, weil die Wolke darauf ruhte und die Herrlichkeit des HERRN die Wohnung erfüllte. Moses, der zwischen Gott und dem Volk auf dem Berg Sinai vermittelt hatte, war nicht imstande, das Zelt der Begegnung zu betreten. Dies stellte einen Makel dar. Denn daraus lässt sich ableiten, dass kein Mensch sich Gott nahen kann, wenn das nicht einmal für Mose möglich ist. Obgleich Gott nun unter seinem Volk gegenwärtig war, wie er es in 2. Mose 35,8 und 29,45 versprochen hatte, blieb die Kluft zwischen Gott und den Menschen dennoch unüberwindbar. Das Buch Levitikus intendiert folglich, die Frage zu beantworten, auf welche Weise diese Kluft überwunden werden kann. Die Frage stellt sich, wie sich sündige Menschen dem souveränen, heiligen Gott nähern können, ohne vernichtet zu werden (vgl. 2Mos 19). Der Zusammenhang des Buches Levitikus mit der bisherigen Geschichte Gottes mit seinem Volk wird auf verschiedene Weise ersichtlich:
- Das Buch Levitikus gibt Antworten auf die uralte Sehnsucht der Menschheit, in Gemeinschaft mit Gott leben zu wollen. Die Initiative zum Kontakt mit dem sündigen Volk ergreift der heilige Gott selbst, indem er das Buch Levitikus verfasst. Genau das war das Gebetsanliegen Moses nach dem Bundesbruch durch die Anbetung des goldenen Kalbes (2Mos 34,9).
- Gott bekräftigt jedoch auch seinen Auftrag an das Volk Israel, ein heiliges Volk unter allen Nationen zu sein (2Mos 19,5–6). Mit dem Buch Levitikus richtet Gott die Aufforderung an sein Volk, „heilig zu sein, denn ich bin heilig“ (3Mos 20,26).
- Gott hält auch an seiner Bundesverpflichtung fest. Gott hatte zunächst Abraham den Bund gegeben (Gen 17,8) und diesen dann gegenüber dem Volk Israel bekräftigt (2Mos 6,7). Die Bundesformel Ich werde euer Gott sein wird von Gott im Buch Levitikus mehrfach wiederholt (26,12; 11,45; 22,33 und 25,38).
In einer zusammenfassenden Betrachtung lässt sich festhalten, dass das Buch Exodus die Frage nach dem Ort der Anbetung (die Stiftshütte) betont, während das Buch Levitikus den Fokus auf die Haltung der Anbetung (Opfer, Reinheit und Heiligkeit) legt. Somit kann festgehalten werden, dass Gott alles daransetzt, seinem Volk zu begegnen. Levitikus demonstriert, dass weder die menschliche Sündhaftigkeit noch die menschliche Sterblichkeit Gott von den Menschen fernhalten kann. Der Mensch wurde von Gott erschaffen, damit er in Gemeinschaft mit ihm lebt. Sein Wille ist auf diese Gemeinschaft ausgerichtet. Der Inhalt des Exodus stellt somit die praktische und theologische Grundlage für das Buch Levitikus dar. Die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk ist durch einen Bund definiert. Dies erklärt die konkreten Anordnungen und Gebote des dritten Buches Mose.
Levitikus betont die Heiligkeit Gottes und die Folgen
Das zentrale Thema des Buches ist die Heiligkeit Gottes und die daraus resultierende Heiligung des Volkes Gottes. Der Schlüsselvers findet sich in Kapitel 19, Vers 2: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der HERR, euer Gott. Das Wort heilig kommt in diesem Buch der Bibel signifikant häufiger vor als in jedem anderen. Die Anzahl der Verwendungen der hebräischen Wurzel für heilig im Buch wird auf ca. 150 geschätzt. Dies entspricht ca. 20 Prozent aller seiner Verwendungen im gesamten Alten Testament. In keinem anderen Buch des Alten Testaments wird die Heiligkeit des Volkes Gottes so vehement eingefordert wie in diesem.
Die Forderung Gottes an sein Volk, heilig zu sein, wird jedoch nicht nur verlangt, sondern auch konkretisiert, indem dargelegt wird, auf welche Weise diese Heiligung zu erfolgen hat. Gott sagt: Ich bin es, der euch heiligt (Lev 20,8; vgl. 21,8.15.23; 22,9.16.23). Der strukturierte Aufbau des Buches offenbart die Methoden, mit denen Gott sein Volk heiligt.
- Die Opfer erläutern, auf welche Weise die Menschen trotz Sünde und Befleckung ihre Beziehung zum heiligen Gott aufrechterhalten konnten (Lev 1–7).
- Die Gesetze für die Priester verdeutlichen die Art und Weise, wie jede Begegnung eines Menschen mit Gott vermittelt werden konnte (Lev 8–10).
- Die Anweisungen zur Reinheit verdeutlichen, dass die Heiligkeit Gottes eine Reinigung und Läuterung von der Verunreinigung dieses Lebens erfordert (Lev 11–16).
- Die Ermahnungen zur Heiligkeit zeigen, dass jeder Aspekt des Lebens des Bundesvolkes Gott gewidmet werden musste (Lev 17–27).
Dies lässt den Schluss zu, dass Gott ein besonderes Augenmerk darauf legt, wie sein Volk ihm begegnet. Der Leser des Buches wird nicht umhinkommen, die Sorgfalt zu bemerken, mit der Gott durch Mose seine Anweisungen formuliert. Der israelitische Gottesdienst demonstriert, dass Gott sowohl die Art und Weise der Anbetung als auch den Gegenstand der Anbetung sehr hochschätzt. Es geht ihm nicht um die Äußerung von schönen Gedanken, bewundernden Gefühlen oder die Umwidmung heidnischer Praktiken. Die Israeliten waren nicht dazu angehalten, ihre Anbetung nach eigenem Gutdünken zu gestalten, sondern sollten die Art und Weise ihrer Verehrung dem Charakter Gottes anpassen. Die levitischen Vorschriften, die Regeln für die Opfer sowie die bestimmten Jahreszeiten und Feste demonstrieren, wie die Israeliten ihr Leben und ihre Anbetung gemäß dem Plan des Schöpfers gestalten sollten. Der Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen, weshalb sich auch die menschliche Anbetung nach seinem Willen zu richten hat und nicht umgekehrt. Sowohl der Gottesdienst ‚im engeren Sinn‘ (Opfer) als auch der Gottesdienst ‚im weiteren Sinn‘ (das Leben) sind dabei Ausdruck der Anbetung Gottes.
Levitikus erklärt die Geschichte Israels im Alten Bund
Levitikus gab Israel Richtlinien für die Anbetung und Nachfolge Gottes. Gott bereitete einem sündigen Volk die Möglichkeit, eine dauerhafte Beziehung zu ihm zu genießen, in der ihre Sünden vergeben, Heiligkeit ermöglicht und das Leben aufrechterhalten werden konnte. Ein Leben nach den Anordnungen dieses Buches bot dem Volk Gottes die hoffnungsvolle Perspektive von einem erfüllten Leben im gelobten Land. In 3. Mose 18,5 verspricht Gott dem Volk: Darum sollt ihr meine Satzungen und meine Rechtsbestimmungen halten, denn der Mensch, der sie tut, wird durch sie leben. Ich bin der HERR!
Die im Alten Testament aufgezeichnete Geschichte Israels zeigt allerdings, dass das Volk als Ganzes in seinem Streben nach Heiligkeit versagte und daher kein dauerhaftes Leben genießen konnte. Wie in 26,27–39 vorhergesagt, führte die Sünde Israels zu ihrer Verbannung aus dem gelobten Land und zur Entweihung des Namens Gottes unter den fremden Völkern. Die angekündigte disziplinierende Hand Gottes manifestierte sich in Form von Plagen, die über das Volk hereinbrachen (26,18.21.23.27). Israel wandte sich gegen Gottes Gebote und Anordnungen. Die Verschmähung der göttlichen Gnade und Heiligkeit sowie die Bestrafung Israels durch Gott waren die Folge der Rebellion und des Ungehorsams des Volkes. Dennoch versprach Gott, sich auch nach der Rebellion und Bestrafung Israels an seinen Bund mit Abraham, Isaak und Jakob, an sein Land sowie an seinen Bund mit Israel am Sinai zu erinnern und einen reuigen Überrest wiederherzustellen (Lev 26,40–45). In einer späteren Prophetie, die sich auf die Ereignisse des Exils bezieht, erinnert der Prophet Hesekiel an diese Hoffnung (Hes 36,23–27):
Darum sprich zu dem Haus Israel: So spricht GOTT, der Herr: Nicht um euretwillen tue ich dies, Haus Israel, sondern wegen meines heiligen Namens, den ihr entweiht habt unter den Heidenvölkern, zu denen ihr gekommen seid. Darum will ich meinen großen Namen wieder heilig machen, der vor den Heidenvölkern entheiligt worden ist, den ihr unter ihnen entheiligt habt! Und die Heidenvölker sollen erkennen, dass ich der HERR bin, spricht GOTT, der Herr, wenn ich mich vor ihren Augen an euch heilig erweisen werde. Denn ich will euch aus den Heidenvölkern herausholen und aus allen Ländern sammeln und euch wieder in euer Land bringen. Und ich will reines Wasser über euch sprengen, und ihr werdet rein sein; von aller eurer Unreinheit und von allen euren Götzen will ich euch reinigen. Und ich will euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres legen; ich will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben; ja, ich will meinen Geist in euer Inneres legen und werde bewirken, dass ihr in meinen Satzungen wandelt und meine Rechtsbestimmungen befolgt und tut. Und ihr sollt in dem Land wohnen, das ich euren Vätern gegeben habe, und ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.
Hesekiel 36,23 – 27
Levitikus macht die Botschaft des Neuen Testaments verständlich
An diese Hoffnung knüpft das Neue Testament an und stellt uns Jesus als die Erfüllung der Verheißung dar. Er ist das stellvertretende Sühnopfer. Sein Blut floss, um die Ungerechtigkeit zu sühnen und den Menschen den Zugang zu Gott zu ermöglichen. In der Tat kann festgehalten werden, dass Jesus Christus das vollkommene Opfer für die Sünden darstellt, während die Opfer im Buch Levitikus lediglich als Schattenbilder zu betrachten sind (Hebr 10,4). Deswegen hat Johannes der Täufer über Jesus gesagt: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt!“ (Joh 1,29) In seinem Sohn hat Gott selbst das vollkommene Opfer für die Sünde bereitgestellt. Somit kann festgehalten werden, dass alle Opfer des dritten Buches Mose auf Christus als dem eigentlichen Opfer hinweisen.
Jesus ist jedoch nicht nur ein besseres Opfer. Er ist zudem der bessere Priester. Das Priestertum unterstrich die Notwendigkeit eines Mittlers, der zwischen dem Volk und Gott vermittelt und in seinem Namen Opfer darbrachte. Die Nähe zu Gott konnte seitens des Volkes nur durch einen Priester hergestellt werden. Selbst am Versöhnungstag konnte nur der Hohepriester die Opfergabe darbringen. Dies erfolgte erst, nachdem er ein Opfer für seine eigenen Sünden und die seiner Familie dargebracht hatte (3Mos 16,11). Daran sehen wir, dass das Volk Gottes einen Hohepriester benötigte, der ohne Sünde war und in der Lage war, das Volk vor Gott zu bringen. Der Hebräerbrief betont die Rolle Christi als dem vollkommenen Hohepriester (Hebr 4,14).
Nachdem Jesus nun das Gesetz Gottes erfüllt und den Neuen Bund eröffnet hat, gelten die zeremoniellen Opfergesetze und die Reinheitsvorschriften für die Gläubigen nicht mehr (Hebr 8,13). Mit dem Opfer Christi wird das Opfersystem obsolet (Hebr 9). Christus hat die Unreinen ein für alle Mal gereinigt, weshalb die Reinheitsgebote und Speisegesetze ihre Gültigkeit verloren haben (vgl. Apg 10,9–48). Moralische und ethische Gebote Gottes bleiben jedoch für den Gläubigen verbindlich. Christus hat durch seine Heiligkeit und seinen Gehorsam alles geschaffen, was ein Gläubiger benötigt, um in die Gegenwart Gottes einzutreten. Aber auch heute, jenseits des Kreuzes, bleibt Gottes Wille unsere „Heiligung“ (1Thess 4,3).
Petrus verdeutlicht in 1.Petrus 2,9.10, dass die neutestamentliche Gemeinde das auserwählte, heilige Volk Gottes ist. Der Sieg über die Sünde ist jedoch nicht nur zur Zeit Moses möglich, sondern auch heute, da der Geist des auferstandenen Christus’, der die Sünde überwindet und den Tod besiegt, in uns wohnt (Röm 8,7–11). „Durch den Geist“ können wir „die Taten des Körpers“ überwinden (Röm 8,13). In 1. Petrus 1,14–16 wird 3. Mose 19,2 zitiert: Als gehorsame Kinder passt euch nicht den Begierden an, denen ihr früher in eurer Unwissenheit dientet, sondern wie der, welcher euch berufen hat, heilig ist, sollt auch ihr heilig sein in eurem ganzen Wandel. Denn es steht geschrieben: ‚Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig!‘
Das Ziel des Opfer- und Priesterwerks Christi ist demnach die vollständige Umwandlung des Christen vom Unheiligen zum Heiligen, vom Sünder zum Gerechten und von der Unähnlichkeit mit Christus in sein Ebenbild hinein. Dies entspricht der Erlösung, die Gott im Alten Testament, insbesondere im Buch Levitikus, vorhergesagt hatte.
Was ist also die bleibende Botschaft des Buches?
Auch wenn das Buch Levitikus mit seinen bildhaften Darstellungen von Opfern und seinen detaillierten Gesetzen den heutigen Vorstellungen von Anbetung entgegensteht, schenkt uns die Gesamtdarstellung des Buches eine umfassende Aussage über Gottes Werk in der Erlösungsgeschichte.
Häufig wird beim Studium des Buches Levitikus das Wesen und der Wille Gottes übersehen. Dann wird leider vergessen, dass die theologische Botschaft des Buches nicht nur in den Glauben des alten Israel passen muss, sondern auch in den gesamten Erlösungsplan, der nach und nach in der Heiligen Schrift offenbart wird. Die Einordnung des Buches in seinen Kontext in der damaligen Welt, die Berücksichtigung der zeitlosen Wahrheiten, die es prägen, sowie die Anwendung auf die heutige Gemeinde sind dabei von zentraler Bedeutung, um Gottes Heilshandeln in dieser Welt zu verstehen. Und wenn wir bereit sind, den größeren Zusammenhang zu sehen, können wir die großen Linien erkennen: Die Menschheit war sündig und dadurch von Gott getrennt. Gott hingegen war gnädig und mitfühlend und machte einen Weg frei, so dass Menschen in seine Gegenwart kommen und Gemeinschaft mit ihm haben konnten. Das machte Gott durch einen Gnadenbund möglich. Damit sonderte er sich ein Volk für sich selbst ab. Dieser Akt der Absonderung wird in der Bibel als Heiligung bezeichnet. Daher muss ihr Leben nun ein Leben der Heiligkeit sein.
Die Gesetze im Buch Levitikus waren jedoch kein Selbstzweck, sondern ein Hinweis und Lehrer auf Christus hin (Gal 3,24). Wo Israel dem göttlichen Willen nicht gehorchte, ist der Sohn Gottes gekommen und hat das Gesetz Gottes erfüllt. Jesus Christus ist sowohl das perfekte, ein für alle Mal dargebrachte Opfer für die Sünde als auch der perfekte Hohepriester für sein Volk. Während sich der Leser also mitunter über die Anwendung und Relevanz des Buches Levitikus wundert, genügt ein Blick in das Neue Testament, um zu erkennen, dass das Evangelium das Ziel des Buches offenbart. Levitikus liefert die Grundlage für das Verständnis des Evangeliums, insbesondere für das stellvertretende Sühnopfer Christi, das Werk Christi als Priester und für die Absicht Christi, sein Volk zu heiligen (d. h. heilig zu machen). Letztendlich lehrt uns das Buch Levitikus die Bedeutung der Heiligkeit Gottes sowie die Kosten, die es mit sich bringt, ein unheiliges Volk für sich selbst zu heiligen.
Verwendete Literatur:
Allen P. Ross: Holiness to the Lord: A Guide to the Exposition of the Book of Leviticus (Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2002).
- Jeffrey Mooney und Jason S. Derouchie, „Leviticus“, in: What the Old Testament Authors Really Cared about: A Survey of Jesus’ Bible, ed. Jason S. DeRouchie (Grand Rapids, MI: Kregel Academic, 2013).
Michael G. McKelvey, „Leviticus“, in: A Biblical-Theological Introduction to the Old Testament: The Gospel Promised, ed. Miles V. Van Pelt (Wheaton, IL: Crossway, 2016).
Sidney Greidanus, Preaching Christ from Leviticus: Foundations for Expository Sermons (Grand Rapids, MI: William B. Eerdmans Publishing Company, 2021).
Victor P. Hamilton, Handbook on the Pentateuch, 2nd ed. (Grand Rapids, MI: Baker Academic, 2005).
Boris Giesbrecht ist Studienleiter der Akademie für Reformatorische Theologie, wo er im Bereich der Biblischen und Praktischen Theologie lehrt. Gemeinsam mit seiner Frau Maria und den drei Kindern gehört er zur Bekennenden Ev.-Ref. Gemeinde in Gießen.
[1] Die Ausnahmen sind die Kapitel 2, 3, 5, 7, 9, 10 und 26. Einige davon setzen einfach die Betonung des vorherigen Kapitels fort (daher das Fehlen dieser Formulierung), während andere diese Formulierung stattdessen im Hauptteil des Kapitels am Anfang enthalten.
[2] Diese Ausnahmen sind Kap. 8–10, 16 sowie 21,1–22,16.