Jesus Christus hat den Neuen Bund in seinem Blut aufgerichtet (Mt. 26,28; Mk. 14,24; Luk. 22,20; 1Kor. 11,25). Der Neue Bund ist in und durch Christus Wirklichkeit geworden. Der Schreiber des Hebräerbriefes bezeugt dies ausdrücklich, indem er feststellt: „Jetzt (!) aber hat er einen umso erhabeneren Dienst erlangt, als er auch der Mittler eines besseren Bundes ist…“ (Hebr. 8,6, vergleiche Hebr. 10,14-18).
Warum aber musste es überhaupt einen Neuen Bund geben? Anders formuliert: Was war das Problem am Alten Bund?
Ferner: Was ist das Bessere, das Erhabenere am Neuen Bund gegenüber dem Alten Bund?
Schließlich: Wer ist in den Neuen Bund eingeschlossen? Um wen geht es im Neuen Bund?
Eine Antwort auf diese drei Fragenkomplexe wollen wir suchen, indem wir auf das hören, was Gott durch den Propheten Jeremia in Kapitel 31,31-37 verheißen hat. Bitte lesen Sie diesen Abschnitt vorher in einer guten Bibelübersetzung.
Die Zeit Jeremias
Im Lauf der Heilsgeschichte Gottes gab es immer wieder Zeitabschnitte, die besonders hervorstechen, weil sie einen Einschnitt markieren.
Ein solch gravierender Zeitabschnitt waren sicher die Monate, nachdem das Volk Gottes an den Berg Sinai gelangt war und dort unter Blitz, Donnerschall und Feuer das Gesetz Gottes empfangen hatte (2Mos. 19-20).
Als dann die zwölf Stämme Israels in das verheißene Land Kanaan eingezogen waren und im Lauf der Richterzeit immer wieder und immer weiter von Gott abfielen, wurde es offensichtlich, dass das Volk nicht nach dem Gesetz Gottes fragte. Im Gegenteil: Die in den letzten Kapiteln des Richterbuches berichteten Ereignisse schildern moralisch grauenhafte Zustände im Volk Gottes!
Aber in dieser Zeit erwählte sich Gott einen Mann. Es war David. Mit ihm und mit dessen Haus schloss er seinen Bund (2Sam. 7,1-16).
Einige Jahrhunderte später, zur Zeit Jeremias, schien allerdings auch dieser Bund gescheitert zu sein. Die Nachfolger Davids übten ihre Herrschaft in einer geradezu provozierenden Abkehr von Gott aus. Daraufhin sprach Gott über das Haus David sein Gericht. (Siehe zum Beispiel Jer. 22,24-30.)
Auch das Volk Gottes selbst verkehrte in offener Rebellion gegen Gott. Es kümmerte sich nicht um das Gesetz (Siehe zum Beispiel Jer. 7,3-15). Nun traf das Gericht, das Gott zum Beispiel in 5Mose 27 und 28 angedroht hatte, mit voller Wucht ein.
Wir lesen davon unmittelbar nach der Verheißung des Neuen Bundes: „Dies ist das Wort, das vom Herrn an Jeremia erging im zehnten Jahr Zedekias des Königs von Juda, dieses Jahr war das 18. Jahr Nebukadnezars. Damals belagerte das Heer des Königs von Babel Jerusalem.“ (Jer. 32,1-2). Das heißt: Die Eroberung der Stadt Jerusalem und die Zerstörung des Tempels standen unmittelbar bevor.
Der Untergang der Stadt, die Gott einst bestimmt hatte, um dort im Tempel seinen Namen zu offenbaren und angebetet zu werden, bedeutete für das Volk die totale Katastrophe. Nein, wir müssen es richtig sagen, denn das Wort „Katastrophe“ klingt zu schicksalhaft: Das, was in den Tagen Jeremias geschah, war die Bundesrache Gottes an dem von Gott und von seinem Gesetz abgefallenen Volk. Damit war der Bund, den Gott am Berg Sinai mit seinem Volk geschlossen hatte, gescheitert. Er war am Ende.
Der Auftrag Jeremias
In den ersten 28 Kapiteln seines Buches hielt der Prophet Jeremia dem Volk immer wieder seine Schuld vor: Ihr habt den Bund gebrochen; weil ihr nicht umgekehrt seid, stürzt nun das Gericht Gottes über euch herein. (Siehe besonders Jer. 11,1-17; 25,1-11).
Unmittelbar vor der Eroberung und Vernichtung des Tempels hören wir nun die herrliche Verheißung: „Siehe, es kommen Tage, spricht Gott der Herr, dass ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen Neuen Bund schließen werde„. (Jer. 31,31).
Diese Verheißung ist der Höhepunkt in einer Kette von Verheißungen, die wir ab Kapitel 29 lesen.
In Jeremia 29 wird uns zunächst von dem Brief berichtet, den Jeremia an die bereits nach Babylon Verschleppten sandte. (Die Verschleppung des Volkes nach Babylon vollzog sich in Etappen.) In diesem Schreiben forderte der Prophet die Verschleppten auf, sie sollten das Wohlergehen Babylons suchen. Man höre und staune: Menschen des Volkes Gottes sollen für Babylon beten! Denn, so lautet die Begründung: „In ihrem Frieden werdet ihr Frieden haben!“ (Jer. 29,7).
Aber gleich darauf lesen wir eine Verheißung, die weit über den Frieden Babylons hinausweist: „Denn ich weiß, was für Gedanken ich über euch habe, spricht der Herr. Gedanken des Friedens und nicht des Unheils, um euch eine Zukunft und eine Hoffnung zu geben.“ (Jer. 29,11).
In Kapitel 30 wird dann mehrfach die Rückkehr des ganzen Volkes verheißen: „Ich werde sie wieder in das Land zurückbringen.“ (Jer. 30,3). „Ich will dich aus einem fernen Land erretten und deine Nachkommen aus dem Land ihrer Gefangenschaft … ich will allen Heidenvölkern, unter die ich dich zerstreut habe, ein Ende machen. Nur dir will ich nicht ein Ende machen.“ (Jer. 30,10.11; siehe auch 30,18-22).
Das folgende Kapitel beginnt ebenfalls mit einer Zusage für alle Geschlechter Israels: „Zu jener Zeit, spricht der Herr, werde ich der Gott aller Geschlechter Israels sein…!“ (Jer. 31,1). Damit ist nicht gesagt, dass ausnahmslos jeder Israelit gerettet wird. Unzählige waren durch die Eroberungszüge der Assyrer und Babylonier umgekommen. Viele wollten nach 70 Jahren gar nicht mehr aus dem Babylonischen Exil in das Land der Väter zurückkehren.
Jeremia spricht auch ausdrücklich von einem „Überrest„, der gerettet werden soll (Jer. 31,7). Aber gerade in diesem Überrest zeigt Gott, dass er zu seinen Verheißungen steht: „Ja, mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Gnade, spricht Gott der Herr“ (Jer. 31,3).
Diese Zusage macht auch deutlich, dass der Grund dafür, dass dieses Volk nicht total untergeht, einzig und allein die Liebe Gottes ist. Dass das Volk nicht völlig zuschanden wird, sondern dass ein Überrest bestehen bleibt, beruht auf der Gnade Gottes, auf seiner Erwählung.
Im Anschluss daran folgt die Verheißung des Neuen Bundes.
Erstens: Das Problem des Alten Bundes (Jer. 31,31-32)
Das erste, auf das uns der inspirierte Prophet hinweist, ist der Unterschied, ja in gewissem Sinn der Gegensatz, der zwischen dem Alten und dem Neuen Bund besteht: Der Neue Bund wird anders sein als der Alte Bund (Jer. 31,31-32): „Siehe es kommen Tage, spricht der Herr, da ich … einen neuen Bund schließen werde, nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern schloss…„
Gott handelt im Rahmen des Bundes
Jeder aufmerksame Bibelleser weiß, dass Gott seit jeher mit den Menschen im Rahmen von Bündnissen gehandelt hat und handelt. Denken wir an die Bundesschlüsse Gottes mit Adam (vergleiche Hos. 6,7), mit Noah (1Mos. 9,1-17), mit Abraham (1Mos. 15,7-18; 17,1-27), am Sinai, mit David usw.
Aber wenn man nachfragt, was eigentlich genau in der Heiligen Schrift unter dem „Bund Gottes“ zu verstehen ist, erhält man sehr unterschiedliche Antworten.
Die einen verstehen den „Bund Gottes“ im Sinn einer Vereinbarung, einer Übereinkunft. Manche meinen sogar, formale Parallelen zu altorientalischen Vasallenverträgen entdecken zu können.
Andere denken bei dem „Bund Gottes“ mehr an den Aspekt der testamentarischen Verordnung. In diesem Fall wird betont, dass es Gott ist, der seinen Bund aufgerichtet hat. Die Segnungen seines Bundes gelten dann als Ausdruck seines freien, souveränen Handelns.
Diese hier angerissene Thematik hat zweifellos viele und vielschichtige Facetten, auf die im Rahmen dieses Artikels nicht eingegangen werden kann.
Zweiseitigkeit in der Ausgestaltung des Bundes
Aber es fällt auf, dass Jeremia in diesen Versen den Bund Gottes mit einer Ehe vergleicht, indem der Bundesbruch des Volkes als Ehebruch gedeutet wird: „denn sie haben meinen Bund gebrochen, obwohl ich doch ihr Ehemann war, spricht der Herr“ (Jer. 31,32).
Der Vergleich mit einer Ehe bzw. mit einem Ehebruch bringt die Zweiseitigkeit des sinaitischen Bundes zum Ausdruck. Es ist deutlich, dass bei der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk der Aspekt des Gehorsams von großer Bedeutung ist.
Auch sonst vergleicht der Prophet Jeremia immer wieder den Ungehorsam, den Abfall und die Gesetzesübertretungen des Volkes Gottes mit einem (geistlichen) Ehebruch: Er zieht das Bild einmal sogar so weit, dass er von einem Scheidebrief spricht, den Gott der Herr dem Volk (genauer: dem Nordreich) ausstellte (Jer. 3,1-10).
Aber nicht nur die Beziehung im Alten Bund, sondern auch die Beziehung im Neuen Bund wird mit einer Ehe verglichen, wobei der Aspekt des Gehorsams, des Dienens wahrlich nicht ausgeschlossen ist.
Wenige Verse vor unserem Abschnitt verheißt Gott durch Jeremia: „Denn der Herr hat etwas Neues geschaffen auf Erden: Die Frau wird den Mann umgeben.“ (Jer. 31,22). Nun also wird die Frau, das heißt das Volk, ihrem Mann, das heißt Gott, dem Herrn, zur Verfügung stehen.
Einseitigkeit in der Bundessetzung
Angesichts des Bildes der Ehe ist es fraglos schriftgemäß, auf die Zweiseitigkeit des Bundes Gottes mit seinem Volk zu weisen. Aber es wäre falsch, daraus die Folgerung zu ziehen, beim Bund Gottes kämen zwei Parteien zusammen.
Dass dies nicht der Fall ist, wird schlagartig an einer Aussage Gottes klar, die er durch Hosea verkünden lässt. Gott teilt hier gewissermaßen seine Verlobungsanzeige mit. In dieser ist zu lesen: „Ich will mich dir verloben in Ewigkeit!“ (Hos. 2,21).
Ganz sicher würde heutzutage niemand eine solche Verlobungs- oder Hochszeitsanzeige aufsetzen. Stattdessen würden man formulieren: Wir haben uns verlobt … Wir heiraten … Eine Anzeige: Ich will mich mit ihr verloben, würde Kopfschütteln hervorrufen.
Für unser Thema wird daran deutlich, dass der „Bund Gottes“ zwar nicht einseitig, sondern zweiseitig gestaltet ist, aber nicht durch Übereinkunft von zwei Parteien zustande gekommen ist, sondern durch das souveräne, erwählende Handeln Gottes.
Gnade auch im Sinaibund
Nicht selten begegnet man heutzutage der Auffassung, der Bund am Sinai sei ein Bund gewesen, in dem es keine Gnade gegeben habe: Unter dem Sinaibund habe man durch eigene Werke und durch eigene Leistungen errettet werden können. Diese Auffassung ist falsch.
Gerade in unserem Abschnitt bringt Jeremia sein gnädiges Rettungshandeln in Erinnerung: Gott nahm sein Volk „bei der Hand“ (wie ein kleines Kind) und führte es aus dem Land Ägypten (Jer. 31,32).
Indem Jeremia dem Volk die Befreiung aus dem Haus ihrer Knechtschaft ins Gedächtnis ruft, weist er auf die Grundlage des Sinaibundes: Die gnädige Errettung aus Ägypten.
Auch die zehn Gebote beginnen mit dem Hinweis auf die Befreiung aus dem Sklavenhaus: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägypten, aus dem Haus der Sklaverei herausgeführt habe.“ (2Mos. 20,1-2).
Nicht nur in der Einleitung zu den zehn Geboten, sondern auch in den folgenden Versen bezeichnet sich Gott immer wieder als dein Gott. (2Mos. 20,5.7.10.12). Dieses unscheinbare Personalpronomen zeigt, dass Gott sich auch beim Geben der Gebote als der gütige und segnende Bundesgott offenbart.
Immer wieder wird angesichts des Verhaltens des Volkes die Langmut und gnädige Geduld Gottes gerühmt (Ps. 136; 105 usw.). Übrigens auch das Geben seines Gesetzes ist Gnade, und dafür wird Gott gelobt (Ps. 19,8-15; 119,1-176).
Kurzum: Es wäre ein Missverständnis zu behaupten, der Bund am Sinai hätte nichts mit Rettung und Gnade zu tun.
Die Gesetzesforderungen als Blickfang
Aber trotz aller Segnungen waren im Sinaibund die Forderungen des Gesetzes gleichsam der Blickfang. Das Volk Gottes wurde zum Gehorsam aufgerufen…
…und es versagte. Es erfüllte die Forderungen des Gottes, der sie in seiner Güte aus Ägypten erlöst hatte, nicht. Das Machwerk des Goldenen Kalbes war hier lediglich der Anfang. Danach wich das Volk immer wieder von den Ordnungen Gottes ab. Über weite Strecken stellt das in den alttestamentlichen Geschichtsbüchern Berichtete eine Aufzählung von Ungehorsam, Gesetzlosigkeiten und Abfall dar (siehe 2Kön. 17,7-23).
Das Gesetz vom Sinai war nicht schlecht
Nach alledem erhebt sich erneut die Frage: Was war das Problem mit dem Bund am Sinai? War das Gesetz schlecht? Antwort: Nein! Im Gegenteil! Das Gesetz war gut.
Das Problem mit dem Sinaibund war: Die von Gott gegebenen Normen passten nicht zum sündigen Volk. Nicht nur war das Volk den Geboten ungehorsam, sondern es konnte das Gesetz in seiner Totalität gar nicht halten.
Römer 7
Genau diese Wahrheit betont der Apostel Paulus. Er vergleicht ebenfalls die Beziehung des Menschen zu Gott mit einem Ehebund (Röm. 7,1-3). Auch er betont: Das Gesetz ist heilig, gerecht und gut (Röm. 7,12), ja es ist geistlich (Röm. 7,14). Es wäre ein gefährliches Missverständnis, das Gesetz für „Sünde“ zu halten (Röm. 7,7).
Das Problem des Gesetzes ist, dass es auf einen Menschen trifft, der das Gesetz nicht erfüllen kann. Mehr noch: Es ist nicht nur so, dass der Mensch das Gesetz Gottes immer wieder übertritt, sondern er wird durch die Forderungen des Gesetzes gerade dazu gereizt, es zu übertreten (Röm. 7,7-8). Das ist der Grund, warum es zum Tod führt: „Ich aber starb.“ (Röm. 7,9).
Damit ist das Problem des sinaitischen Bundes umrissen: Gerade weil die Forderungen des Gesetzes gut und gerecht waren, führte ihre Übertretung zu Gericht und Fluch. So erklärte Gott: „Sie blieben nicht in meinem Bund, sie waren nicht treu zu meinem Bund, und ich ließ sie gehen…“ (Hebr. 8,9).
Genau das geschah durch die Babylonische Gefangenschaft: Gott ließ sein Volk zu den Götzen Babylons und Ägyptens gehen, auf die sie so scharf waren. (Vergleiche Jer. 7,16-20; 44,1-30).
Die Verschleppung des Volkes Gottes in das Exil verkündet: Wenn Menschen von Gott und von seinem Gesetz nichts wissen wollen, sondern es zurückweisen, lässt er sie in ihr Verderben rennen.
Eine Antwort auf unsere Frage lautet: Das Problem des Alten Bundes bestand nicht darin, dass die von Gott aufgestellten Gesetzesforderungen schlecht waren, sondern dass der Mensch nicht in der Lage war, sie zu halten.
Kommen wir damit zum zweiten Fragenkomplex:
Zweitens: Das Bessere am Neuen Bund (Jer. 31,33-37)
Auf die Frage, was das Bessere am Neuen Bund ist, gibt Gott durch Jeremia die Antwort: Es sind größere Verheißungen geschenkt worden. Dabei hebt der Prophet drei Aspekte hervor.
1. Erneuerung des Menschen von innen
Es geht im Neuen Bund nicht (nur) um ein äußerliches Einhalten des Gesetzes, sondern um die Erneuerung des Menschen von innen: „Das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel nach jenen Tagen schließen werde, spricht der Herr: ‚Ich will mein Gesetz in ihr Innerstes hineinlegen und es auf ihre Herzen schreiben.'“ (Jer. 31,33).
Der Alte Bund hatte deswegen keinen Erfolg, weil er zwar das Einhalten der Gesetze forderte, aber dem Menschen keine Kraft gab, diese Forderungen zu erfüllen.
Das Gesetz war durch das Fleisch kraftlos (Röm. 8,3). Es brachte keine innere Veränderung hervor. Dies geschah erst durch das Kommen des Geistes Gottes.
Der Unterschied zwischen dem Alten Bund und dem Neuen Bund besteht also nicht darin, dass sich der Anspruch auf Gehorsam verändert hat, sondern dass die Forderungen Gottes durch Gott selbst, das heißt durch seinen Geist erfüllt werden: „Ich will mein Gesetz in ihr Innerstes hineinlegen…„.
Auf diese Weise wird auch die Verheißung in Erfüllung gehen: „Ich will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“ (Jer. 31,33; 2Kor. 6,16).
Der Neue Bund hat eine erhabenere Qualität als der Alte Bund, weil er nicht die Erfüllung des Gesetzes fordert, sondern diese schenkt. Das Gesetz wird nun nicht mehr auf steinerne Tafeln geschrieben, sondern auf fleischerne (2Kor. 3,3).
Aus diesem Grund beschreibt der Apostel Paulus seinen Dienst im Neuen Bund als einen Dienst „nicht des Buchstabens, sondern des Geistes“ (2Kor. 3,6).
2. Vergebung der Sünden
Der Neue Bund zeichnet sich ferner durch die Vergebung unserer Sünden aus.
Gott verheißt durch den Propheten Jeremia: „und es wird keiner mehr seinen Nächsten und keiner mehr seinen Bruder lehren und sagen: ‚Erkenne den Herrn! Denn ich werde ihre Missetat vergeben und an ihre Sünde nicht mehr gedenken.'“ (Jer. 31,34).
Die Vergebung der Sünden ist hier eng mit der Gotteserkenntnis verknüpft. In der Erkenntnis Gottes geht es um die Erkenntnis dessen, durch den wir unsere Sünden vergeben bekommen haben.
Zum Neuen Bund gehören also die, die vom Heilswerk Gottes erfasst worden sind, also von dem Werk Christi.
Die neutestamentlichen Schriften sagen es dann eindeutig, dass dazu zunächst die Juden zählen, die dem Evangelium von Jesus Christus glauben. Dann aber gilt es auch für die Nichtjuden, also für die Heiden (Röm. 1,16; 4,9; 9,24-25).
Ja, so führt der Apostel Paulus aus, es gibt bei der Frage der Vergebung der Sünden keinerlei Unterschied zwischen Juden und Heiden: Für beide gibt es den gleichen Rettungsweg, nämlich durch Gnade in Christus, die uns durch den Glauben zugeeignet wird (Röm. 3,21-26). Für beide gilt die gleiche Glückseligkeit (Röm. 4,7-9).
So haben nun auch die Heiden Anteil am Bürgerrecht Israels und an den Bündnissen (Eph. 2,11-12). Es ist das gewaltige Geheimnis, das Paulus verkünden darf, dass die Heiden nun auch „Miterben sind, mit zum Leib gehören und Mitteilhaber der Verheißung Gottes in Christus durch das Evangeliums sind“ (Eph. 3,6). Sie sind nun durch den Glauben in den „guten Ölbaum eingepfropft“ und haben deswegen Anteil an den Verheißungen (Röm. 11,17-25). Auf diese Weise, also durch dieses Eingepfropftsein, kommt Gott zu seinem ganzen Israel (Röm. 11,26).
In diesem Bund, der in dem Erlöser, in Christus, aufgerichtet ist, werden die Gottlosigkeiten von uns abgewendet und uns unsere Sünden vergeben (Röm. 11,25-26).
3. Beständigkeit
Während der Alte Bund zeitlich befristet war – er war gegeben „um hinweggetan zu werden“ (2Kor. 3,11), ist der Neue Bund ein ewiger Bund: „So spricht der Herr, der die Sonne als Licht bei Tag gegeben hat, die Ordnungen des Mondes und der Sterne zur Leuchte bei Nacht; der das Meer erregt, dass seine Wellen brausen, Herr der Heerscharen ist sein Name: Wenn diese Ordnungen vor meinem Angesicht beseitigt werden können, spricht der Herr, dann soll auch der Same Israel aufhören, allezeit ein Volk vor meinem Angesicht zu sein. So spricht der Herr: Wenn man den Himmel droben messen kann und die Grundfesten der Erde drunten zu erforschen vermag, so will ich auch den ganze Samen Israels verwerfen wegen all dessen, was sie getan haben, spricht der Herr“ (Jer. 31,35-37).
Der Prophet Jeremia flehte einmal zu Gott: „Verwirf uns nicht, um deines Namens willen! Schände nicht den Thron deiner Herrlichkeit, gedenke an deinen Bund mit uns und löse ihn nicht auf!“ (Jer. 14,21). Nein, Gott bleibt dem, was er verheißen hat, treu.
Das war die herrliche Botschaft unmittelbar bevor mit der Zerstörung des Tempels der Alte Bund zu Ende ging: Selbst der Gerichtsweg in die Babylonische Gefangenschaft hatte nicht den Sinn, dass Gott sein Volk untergehen ließ. Einen Überrest brachte Gott aus dem Exil zurück und machte mit ihm weiter.
Halten wir fest: Der Neue Bund ist dem Alten Bund insofern überlegen, als uns nun anstatt einer äußerlichen Forderung nach Gehorsam die innere Erneuerung durch den Geist Gottes verheißen ist; anstatt der Zudeckung der Sünden durch Tierblut ist für uns nun die wahrhaftige Vergebung der Sünden durch das Sühnopfer Christi bereit; anstatt eines zeitlich befristeten Bundes stehen wir nun in einer unerschütterlichen, ewigen Verbindung, deren Garant, Mittler und Bürge der Sohn Gottes und allein sein Versöhnungswerk ist (Hebr. 9,15; 12,24; 13,20).
Drittens: Der Umfang des Neuen Bundes
Nicht wenige Christen meinen heute, dass diese gewaltigen Verheißungen, die der Prophet Jeremia dem Volk Gottes verkündigen durfte, ausschließlich denen gelten, die diese kostbaren Wahrheiten auch im Glauben erfassen können.
Sie argumentieren: Weil uns im Neuen Bund die Erneuerung unseres Herzens und die Erkenntnis Gottes in der Vergebung unserer Sünden verheißen ist, gehören zum Neuen Bund ausschließlich diejenigen, die das bewusst erfahren haben. Da man bei unmündigen Kindern davon (noch) nicht sprechen könne, gehörten sie auch nicht in den Neuen Bund. Folglich dürften sie auch nicht das Zeichen und Siegel des Neuen Bundes empfangen. Christliche Eltern dürften ihre unmündigen Kinder also auch nicht taufen lassen.
Außerdem spreche der Neue Bund von Beständigkeit. Niemand aber könne ernsthaft behaupten, er wisse bei einem Säugling, ob er im Bund Gottes bleibe oder nicht.
Die Konsequenz, die aus dieser Gedankenführung häufig gezogen wird, lautet: Gerade wenn man die Verheißungen des Neuen Bundes aus Jeremia 31 ernst nimmt, müsse man einsehen, dass die unmündigen Kinder, deren Eltern zum Bund Gottes gehören, nicht dazu gehören, also auch nicht getauft werden dürfen.
Einmal abgesehen davon, dass auch nicht jeder, der als Erwachsener getauft worden ist, im Bund Gottes bleibt, wird man dieser Argumentation Folgendes entgegenzuhalten haben: Die Taufe ist nicht ein Zeichen, durch das der Mensch seine Erfahrungen bezeugt, also zum Beispiel seine geistliche Erneuerung, sein Wiedergeborensein oder seine Bekehrung oder seinen Glauben. Es geht in der Taufe überhaupt nicht darum, dass der Mensch hier etwas bezeugt. Vielmehr geht es darum, dass Gott etwas bezeugt und besiegelt, und zwar seine Verheißungen.
Wie verheerend sich dieses Missverständnis inzwischen schon auswirkt, zeigt sich daran, dass in vielen Gemeinden nicht mehr getauft wird auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, also so wie es der auferstandene Herr seinen Jüngern unmissverständlich aufgetragen hat (Mt. 28,19), sondern dass man tauft mit der Formel, die jegliche Grundlage im Wort Gottes entbehrt: „Ich taufe dich auf das Bekenntnis deines Glaubens…“.
Gottes Bund mit euch und mit eurer Nachkommenschaft
Immerhin herrscht darüber Einigkeit, dass Gott alle (anderen) Bündnisse auch mit den betreffenden Nachkommen geschlossen hat.
Den Bund mit Noah richtete Gott auf mit ihm und „mit seinem Samen“ (1Mos. 9,9).
Den Bund mit Abraham schloss Gott mit ihm und „mit seiner Nachkommenschaft“ (1Mos. 17,7). Übrigens verbot Gott hier bei Todesstrafe, den männlichen Nachkommen das Zeichen des Bundes, die Beschneidung, vorzuenthalten (1Mos. 17,14; vergleiche 2Mos. 4,24-26).
Auch der Bund am Sinai ging „durch die Generationen hindurch“, und zwar nicht nur dessen Segnungen, sondern auch dessen Flüche (2Mos. 20,5).
Nicht zuletzt richtete sich auch der Bund mit David an ihn und „an seine Nachkommenschaft“ (2Sam. 7,12).
Kurzum: Alle diese Bündnisse umfassen auch die Kinder!
Erneuerung des Alten Bundes
Wenn wir uns mit der Fragestellung nach dem Umfang des Neuen Bundes noch einmal dem Abschnitt aus Jeremia 31 zuwenden, sollten wir beachten, was in diesem Kapitel das Thema ist.
Nachdem Jeremia in den ersten 28 Kapiteln eine über weite Strecken desillusionierende Analyse darüber gab, wie das Volk Gottes den Sinai-Bund mit Füßen getreten hatte und deswegen das Gericht ankündigte, schenkt Gott ab Kapitel 29 Hoffnung, Perspektive und Verheißung. Unser Abschnitt steht in diesem Rahmen: Trotz der Sünde des Volkes wird Gott mit Israel und Juda nicht aufhören, sondern er wird mit diesem Volk weitermachen (siehe Jer. 31,31).
Aus dieser Perspektive ist der Neue Bund nicht etwas total anderes, sondern im Blick auf den Alten Bund dessen Erneuerung.
Tatsächlich hatte Gott bereits lange vor der Zeit Jeremias über diesen Neuen Bund gesprochen. Es war Mose, der bereits verkündete: „Und wenn du auch bis an das Ende des Himmels verstoßen wärst, so wird dich doch der Herr, dein Gott von dort sammeln und von dort holen, und der Herr, dein Gott, wird dich in das Land zurückbringen, das deine Väter besessen haben und du wirst es in Besitz nehmen, und er wird dir Gutes tun und dich mehren, mehr als deine Väter. Und der Herr dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden, dass du den Herrn deinen Gott liebst von ganzem Herzen und von ganzer Seele, damit du lebst.“ (5Mos. 30,4-6).
So dürfen wir das, was wir hier in Jeremia 31 lesen, nicht isoliert betrachten. Es steht im großen Zusammenhang dessen, was bereits Mose verkündet hatte: Das Volk wird zwar in die Babylonische Gefangenschaft gehen. Aber es wird auch von dort wieder zurückkehren und dann weiter bis zur „Beschneidung der Herzen kommen“ (vergleiche dazu Röm. 2,28-29; Kol. 2,11-12).
Damit ist deutlich: Die Erfüllung des Neuen Bundes vollzieht sich in Etappen. Zunächst schenkt Gott die verheißene Rückkehr in das Land. Das ist gewissermaßen die Vorbereitung für die Konstituierung des Neuen Bundes. Dann wird der Neue Bund im Blut Christi aufgerichtet. Etwas später, zu Pfingsten, erfolgt die Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Seinen. Damit kann die Erneuerung beginnen. Voll und ganz wird der Neue Bund erfüllt sein bei der Wiederkunft unseres Herrn. Erst dann werden wir in vollem Sinn des Wortes sagen können, dass wir den Herrn erkennen und dass nichts anderes als das Gesetz Gottes in unseren Herzen geschrieben steht. Erst dann, bei der Auferstehung unseres Leibes, wird der Geist Gottes, den wir jetzt schon anbruchhaft haben, uns ganz und gar bestimmen (Röm. 8,10.11.23).
In diesem Neuen Bund bleiben die Verheißungen unverrückbar gültig, auch für unsere Kinder, die heilig sind (1Kor. 7,14). Oder sagen wir es mit den Worten Jeremias: Sie gelten „vom Kleinsten bis zum Größten“ (Jer. 31,34).