Seit vielen Jahren ist unter Christen ein Trend am Wachsen. Es gibt eine zunehmende Abneigung gegenüber dem Studium biblischer Lehre. Stattdessen sucht man praktisches Christenleben. Immer wieder höre ich Christen, sogar Pastoren, sagen: „Was wir brauchen, ist nicht so viel Lehre, sondern mehr praktisch gelebtes Christsein.“
Diese Haltung zeigt sich zum Beispiel dann, wenn Predigten verlangt oder gehalten werden. Diese sollen weniger Erklärung des Bibelabschnittes und seines Zusammenhangs sein, sondern stattdessen möglichst eine Aneinanderreihung von Erlebnissen und Geschichten. Hausbibelkreise geraten ebenfalls häufig zu Austauschrunden, in denen man seine persönlichen Erfahrungen zum Besten gibt.
Wir finden denselben Trend auch, wenn wir in christliche Buchkataloge oder Buchhandlungen schauen: Es finden sich dort kaum noch Bücher zu Themen wie zum Beispiel Rechtfertigung, Heilsgewissheit, Dreieinigkeit Gottes, Sünde usw. oder Auslegungen biblischer Bücher. Stattdessen wimmelt es von Ratgebern für alle möglichen Bereiche des alltäglichen Lebens, wie Umgang mit Geld, Verhalten von Eltern mit schwierigen Kindern, Management, Gesprächsführung, Mitarbeiterführung usw. Alle diese Lebenshilfen treten mit dem Anspruch auf, aus christlicher Perspektive geschrieben worden zu sein. Das Stichwort lautet „praxisorientiert“. Lehre wird als anstrengend und für das tägliche Leben eines Christen als irrelevant angesehen. Praktische Ratgeber dagegen gelten als lebensnah und hilfreich.
Wenn wir diesen Trend kritisieren, geht es nicht darum, gegen ein gut und richtig praktiziertes Christenleben die Stimme zu erheben. Es wäre ein großer Fehler, die Meinung zu vertreten, man müsse nur die richtige Lehre im Kopf haben, wobei es dann egal sei, wie man praktisch lebt. Die Bibel lehrt, dass ohne Heiligung niemand den Herrn sehen wird (Hebr. 12,14). Das Streben nach einem guten, vom Heiligen Geist geprägten und geführten Christenleben ist unverzichtbar.
Worum es mir in diesem kurzen Artikel geht, ist darauf aufmerksam zu machen, dass wir das eine nicht ohne das andere haben können. Mit anderen Worten: Es gibt kein praktisches (gutes, richtiges) Christenleben ohne eine gründliche Lehrgrundlage. Wer so genanntes praktisches Christsein gegen eine Beachtung und Bewahrung der Lehre ausspielt, sägt an dem Ast, auf dem er sitzt. Er wäre in seinen Aussagen kurzsichtig, er widerspräche seiner eigenen Lebenshaltung.
Niemand, der einen Arzt aufsucht, möchte, dass der Arzt in der Weise praxisorientiert ist, dass er nicht viel von der Lehre der Medizin hält. Im Gegenteil: Je besser er sein Fach studiert hat, desto besser kann er helfen. Wenn ich mit Schmerzen in der Nierengegend zum Arzt gehe, bin ich froh, wenn er ein möglichst breites Wissen über die Funktionen und Krankheiten des menschlichen Körpers hat. Es wäre beruhigend, zu vernehmen, dass er es ständig erweitert, dass er sich in seinem Fach weiterbildet – also wenn seiner praktischen Arbeit viel Wissen zugrunde liegt, so dass er mich nicht einfach einmal mit einem Skalpell aufschneidet, um nachzuschauen, was da so alles zu finden ist.
Niemand, der sein Auto in die Werkstatt bringt, will, dass der Mechaniker, ohne über ein gutes Fachwissen zu verfügen, anfängt, unbefangen daran herumzuschrauben. Für unser Auto wählen wir einen Mechaniker, der gut ausgebildet ist. Wünschenswert wäre es, wenn er darüberhinaus sogar noch erklären kann, wie gewisse Teile meines Autos funktionieren und wie ich so fahren kann, dass mein Auto optimal läuft und lange hält.
Jeder Beruf und jeder Lebensbereich „funktioniert“ nach bestimmten Gesetzen und theoretischen Grundlagen. Man kann überhaupt nur gut sein im Leben oder im Beruf, wenn man diese Grundlagen gut kennt und sie in der Praxis berücksichtigt.
Im Christenleben verhält es sich entsprechend. Während es bei einem Auto nur um materielle Teile geht, die kaputt gehen können, und es in der Medizin „nur“ um den Körper geht, der Schaden nehmen kann, geht es in der Theologie, in der christlichen Lehre, um das ewige Leben. Wenn sich hier Fehler einschleichen, hat das Konsequenzen für die Ewigkeit. Deshalb sind der Herr Jesus und die Apostel so bemüht, uns die richtige, gesunde Lehre zu vermitteln und diese von der falschen abzugrenzen.
Jesus selbst hat sehr viel gelehrt. Er führte nicht nur mit den Schriftgelehrten lange Diskurse, sondern schulte auch seine Jünger darin, ihre Bibel zu verstehen, sie richtig auszulegen und falsche Lehre zu verurteilen.
Die Apostel übernahmen dieses Beispiel. Ihre Briefe bestehen zum größten Teil aus Lehre. Unbestritten enthalten sie auch viele praktische Anweisungen. Aber die meisten der Briefe beginnen mit grundsätzlichen Belehrungen über Gott, den Menschen, die Sünde, Christus. Erst im Anschluss daran kommen die daraus folgenden Anleitungen zur Umsetzung des Gelernten zur Sprache.
In gleicher Weise verhält es sich bei uns. Wir wurden Christen, indem wir gelehrt wurden, wer Gott ist, wer wir als Menschen vor Gott sind, nämlich Sünder, warum wir Christus benötigen, was er für uns getan hat und tut, wie wir in seine Gemeinschaft kommen und darin bleiben können usw. Dann versuchen wir, als Christen Gottes Willen gemäß zu leben. Wir machen Fehler, verstehen Dinge falsch, fallen in Sünde oder verzweifeln an unseren Unzulänglichkeiten. Was tun wir dann? Wir gehen zurück zur Lehre und versuchen, sie noch besser zu verstehen. Denn nur das wird uns schließlich helfen, unser Leben vor Gott besser zu führen.
Lehre ist keineswegs eine kopflastige Theorie über christliche Dinge. Sie ist nicht zuletzt Nahrung für den Geist. Sie stärkt uns und macht uns fit für das Leben. Biblische Lehre ist der Nährboden für unsere Lebensführung als Christen. Falsche Lehre ist Gift, das dem Leben schadet. Ein guter Baum bringt gute Frucht. Aber ein guter Baum, der in einem schlechten oder verseuchten Boden wurzelt, wird nicht nur keine gute Frucht bringen (sprich: gutes, praktisches Christenleben), sondern er wird eingehen und sterben.
Wenn wir diese Dinge bedenken, sehen wir dann nicht ein, dass wir uns gar nicht zu viel mit biblischer Lehre beschäftigen können?
Schließlich müssten die Leute, die „praktisches Christenleben“ gegen fleißiges Studium der Lehre biblischer Themen ausspielen wollen, zugeben, dass sie damit ebenfalls etwas lehren. Sie lehren falsch. Sie behaupten im Grunde, man müsse nicht den ganzen Ratschluss Gottes kennen, um nach Gottes Willen zu leben. Damit bereiten sie den Boden für Lehren von Menschen, die nicht Christus entsprechen, also für Irrlehren.
Wenn uns das bewusst wird, dann werden wir erkennen, dass kein Weg daran vorbei führt, dass wir uns als Christen fleißig und regelmäßig mit biblischer Lehre beschäftigen müssen. Wir werden dann immer mehr erkennen und wissen, was wir glauben und warum wir es glauben. Das wird zu einem guten und richtigen praktischen Christenleben führen.