„Ich bin dankbar, endlich wieder gute Predigten zu hören!“ In so mancher Bekennenden Gemeinde ist dieser Satz sicher schon einmal gefallen. Meist sind es Gäste, die sich in ihrer bisherigen Kirche oder Gemeinde zunehmend heimatlos fühlen, weil sie dort das Wort Gottes vermissen. Und keine noch so nette und angenehme Gemeinschaft mit den Geschwistern kann diesen Mangel ausgleichen.
Aber auch gegensätzliche Reaktionen gibt es. Besucher äußern sich skeptisch zur Predigt: Die Botschaft sei zu hart, zu wenig zeitgemäß, die Verkündigung dauere zu lange, und überhaupt sei alles gar nicht so, wie man es erwartet habe.
Wie kommt es, dass gerade die Predigt so im Mittelpunkt des Interesses steht? Warum führt offenbar gerade die Predigt dazu, dass manche Menschen in eine Gemeinde hineingezogen, andere dagegen von ihr abgestoßen werden?
Christus redet durch die Predigt
Der Grund liegt im Inhalt und Charakter der Predigt. Die Wörter im griechischen Grundtext des Neuen Testaments, die gemeinhin mit „predigen“ oder „verkündigen“ übersetzt werden, deuten auf diese beiden Kennzeichen der Predigt hin.
Das eine Wort entspricht unserem „evangelisieren“, was sich wörtlich mit „eine gute Nachricht verkünden“ übersetzen lässt. Die gute Nachricht könnte man mit 2Korinther 5,19 folgendermaßen zusammenfassen: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich, indem er ihnen ihre Sünden nicht anrechnete“. Inhaltlich soll es in der Predigt also um die frohe Botschaft von der Sündenvergebung in Christus gehen.
Das andere Wort im Grundtext bezieht sich mehr auf die Gestalt der Predigt und steht bezeichnenderweise im Zusammenhang mit der Tätigkeit eines Ausrufers oder Herolds. Ein Herold war bekanntlich ein amtlich Beauftragter, der vor der Erfindung der Massenmedien durchs Land zog und dem Volk die Anordnungen der Obrigkeit bekanntgab, und zwar wortgetreu, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen. Dass ausgerechnet ein solches Amt mit der Verkündigung des Evangeliums und dem Predigen in Verbindung gebracht wird, spricht für sich! Dadurch wird nämlich deutlich, dass der Prediger nicht seine eigenen Worte unters Volk zu bringen hat, sondern die eines anderen: Der Prediger ist Herold und Sprachrohr Gottes.
In diesem Sinne belehrt der Herr Jesus Christus in Johannes 10,27 die ungläubigen Juden: „Meine Schafe hören meine Stimme und folgen mir nach“. Es ist nicht die Stimme des Predigers, der die Schafe, das heißt die Kinder Gottes, nachfolgen, sondern sie folgen der Stimme Christi, der durch die Predigt spricht. In gleicher Weise versichert er den ausgesandten Jüngern in Lukas 10,16: „Wer euch hört, der hört mich“. Und in Epheser 2,17 bezeugt Paulus, dass es Christus ist, der durch ihn und die anderen Apostel die gute Nachricht verkündigt: „Und er kam und verkündigte Frieden euch, den Fernen, und den Nahen“.
Ohne Christus bleibt die Predigt ohne Frucht
Daraus folgt, dass in der Predigt und überhaupt in jeder Verkündigung das Wort Gottes im Mittelpunkt stehen muss. Eine Predigt ist nicht lediglich eine religiös eingefärbte Rede. Sie ist auch keine mit Bibelversen dekorierte Stellungnahme zu aktuellen gesellschaftlichen oder politischen – auch kirchenpolitischen – Themen. Eine Predigt, in der das Wort Gottes, das Wort von Christus dem Gekreuzigtem (1Kor. 1,23), beiseitegeschoben und durch unterhaltsame Anekdoten oder Geschichten aus dem Alltag ersetzt wird, ist kein treues „Herolden“ der guten Nachricht. Und das hat durchaus praktische Konsequenzen! Denn wenn auf der Kanzel und in den Gemeindeveranstaltungen das Evangelium vernachlässigt wird, werden in der Gemeinde zwangsläufig auch die Früchte des Evangeliums ausbleiben. Dabei wird sich doch jeder Prediger wünschen, dass seine Verkündigung nicht vergeblich ist. Sie soll, wenn irgend möglich, die Angefochtenen trösten, die im Glauben Schwachen stärken, die Gleichgültigen ermahnen und nicht zuletzt auch zu einem zahlenmäßigen Wachstum der Gemeinde führen. Aber wie sollen sich diese Früchte einstellen, wenn das Evangelium, die Kraft Gottes, die als einzige solches bewirken kann, geringgeachtet und durch tumbe Menschenweisheit ersetzt wird?
Bloße Menschenworte retten niemanden. Keine noch so beeindruckende Rhetorik, kein noch so geschicktes Argumentieren, keine noch so eifrige Überzeugungsarbeit, keine noch so ergreifende Sentimentalität können einen in sich verdorbenen und verlorenen Menschen umkehren und ihn statt auf sich selbst im Glauben auf den Erlöser blicken lassen. Der Prediger, der die Kraft Gottes im Evangelium verkennt und es versäumt, Christus zu Wort kommen zu lassen, vernachlässigt das geistliche Wohl der Gemeinde Gottes, vergeudet das ihm anvertraute Pfund, mit dem es zu wuchern gilt, und erweist sich somit als unnützer Knecht (vergleiche Lk. 19,11–27).
Christus ist Fels des Heils und Stein des Anstoßes
Unser Wunsch und Gebet für die Bekennenden Gemeinden – und nicht nur für sie – ist, dass in ihnen nichts anderes verkündet wird als das reine und unverfälschte Wort Gottes. Denn dann redet Christus selbst in der Predigt zu seinem Volk und spricht ihm Worte des ewigen Lebens zu. So wird er den Seinen zum Fels des Heils, zu dem sie freudig fliehen und bei dem sie geborgen sind.
Aber doch ist dieselbe treue Verkündigung für manche ein Stein des Anstoßes. Und auch hierbei wäre es falsch, Äußerlichkeiten verantwortlich zu machen. Nicht der Prediger oder die Form seines Vortrags oder das gemeindliche Umfeld sind der Stein des Anstoßes, sondern Christus, der in der Predigt zu Wort kommt. Denn wenn Christus redet, kann es keine Neutralität geben. Entweder bewirkt Gottes Gnade, dass aus dem Hören auf sein Wort der Glaube erwächst, durch den wir das Heil freudig ergreifen. Oder aber dasselbe Wort bewirkt Ablehnung und Verhärtung. So ist das Evangelium für die einen wahrhaft eine frohe Botschaft und ein Geruch des Lebens zum Leben, für die anderen ein Geruch des Todes zum Tode (vergleiche 2Kor. 2,16).
Die Heilige Schrift spricht diese Wahrheit unverblümt aus. Das Wissen um die zweifache Wirkung des Evangeliums soll uns vor falschen Schlüssen bewahren. Die Ursache für ausbleibende Früchte sind eben nicht in einer Verkündigung zu suchen, die womöglich zu direkt sei, zu eng an der Bibel klebe oder zu wenig auf die Bedürfnisse der Hörer eingehe oder was der Beschwerden mehr sein mögen. Vielmehr sollte uns gerade dies dazu anspornen, erst recht am Wort Gottes festzuhalten, das einfache Evangelium von Jesus Christus treu zu predigen und uns dafür nicht zu schämen, „denn es ist eine Kraft Gottes zur Rettung für jeden, der glaubt“ (Röm. 1,16).
Bitte beten Sie dafür, dass die Stimme Christi in seinen Gemeinden noch lange gehört und dankbar angenommen wird!