Brauchen wir Bekenntnisse? (Teil 3)

Brauchen wir Bekenntnisse? (Teil 3)

Verrücke die uralte Grenze nicht, die deine Väter gemacht haben.

Sprüche 22,28

Im ersten Teil dieser Reihe haben wir gemeinsam über einige Hauptargumente nachgedacht, die für die Verwendung von Bekenntnissen im Gemeinde- oder Kirchenalltag sprechen. Im zweiten Teil ging es konkret um die sogenannten Drei Formulare der Einheit, bestehend aus dem Niederländischen Glaubensbekenntnis (1561), dem Heidelberger Katechismus (1563) und den Fünf Artikeln der Synode von Dordrecht (1618/19). Während diese drei Bekenntnisse sich in den vielen reformierten Gemeinden hier auf dem europäischen Festland durchgesetzt haben, wollen wir uns in diesem Artikel mit den wichtigsten reformierten Bekenntnissen beschäftigen, die auf den britischen Inseln entstanden sind: dem Westminster-Bekenntnis und die Westminster-Katechismen.

Entstehung

Es begann im Jahr 1643, als Charles I. König in England war. Er war ein Feind der protestantischen Puritaner. Diese Feindseligkeit wurde so schlimm, dass das Puritaner-freundliche Parlament im Jahr 1643 die führenden reformierten Theologen aufrief, sich in der Westminster Abbey in London einzufinden, um Ratschläge zur weiteren Reformation der Kirche von England (der anglikanischen Kirche) zu geben.

Trotz eines offiziellen Verbotes dieser Versammlung durch Charles I. fanden sich 151 Männer (darunter 30 Vertreter der beiden Kammern des Parlaments) am 1. Juli 1643 in der Westminster Abbey ein.

Diese Versammlung von hingegebenen Protestanten war sehr produktiv. Zwischen 1643 und 1649 publizierte sie:

  • das Westminster-Bekenntnis, welches die Hauptlehren der Bibel in 33 übersichtlichen Artikeln zusammenfasst.
  • den Großen und den Kleinen Katechismus, der ebenfalls die biblischen Hauptlehren enthält, allerdings in Frage-und-Antwort-Form.
  • die Anleitung zum Gottesdienst, die sich mit der biblischen Lehre zum Gottesdienst im Detail auseinandersetzt.
  • die Presbyterianische Kirchenordnung, welche die biblischen Prinzipien des Kirchenrechts zusammenfasst und erklärt, wie Kirchen oder Gemeinden strukturiert und geleitet werden sollen.

Diese Dokumente, insbesondere das Bekenntnis und die beiden Katechismen, werden immer wieder für ihre theologische Klarheit gelobt. So bezeichnete etwa der US-amerikanische Kirchenhistoriker Philipp Schaff das Bekenntnis und die Katechismen als den „vollständigsten und ausgereiftesten Ausdruck“[1] der Reformation und reformatorischen Gedankengutes. Dies ist natürlich kein Zufall, wenn man bedenkt, wie viele hochqualifizierte Theologen aus ganz Europa über solch einen langen Zeitraum gemeinsam die Heilige Schrift studiert haben. Darüber hinaus muss man bedenken, dass diese Dokumente erst etwa 130 Jahre nach Luthers Thesenanschlag und etwa 120 Jahre nach Johannes Calvins erster Ausgabe der Institutio verfasst wurden. Viele Lehren waren in den Jahrzehnten bis dahin weitergedacht und präzisiert worden. Außerdem hatten die Verfasser Zugang zu den bis dato besten Bekenntnissen der Reformation, wie etwa zu Heinrich Bullingers Zweitem Helvetischen Bekenntnis (1561), zur Confessio Gallicana (1559) und natürlich zu den in der vorigen Ausgabe behandelten Drei Formularen der Einheit.

Besonderheiten

Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Westminster-Bekenntnisses und der Katechismen gegenüber anderen Glaubensbekenntnissen ist die Tatsache, dass diese nicht nur eine theologische Zusammenfassung des reformatorischen Verständnisses der Heiligen Schrift sind, sondern auch eine weltanschaulich-praktische Dimension enthalten. Lassen Sie mich dies an zwei Beispielen veranschaulichen:

Der Kleine Katechismus fällt gleich in seiner ersten Frage „mit der Tür ins Haus“, wenn er fragt:

Was ist die höchste Bestimmung des Menschen?

Noch bevor irgendwelche theologischen Fragen angegangen werden, stellt der Katechismus erst einmal die Frage nach dem Sinn alles menschlichen Seins. Warum existieren wir? Was ist der Sinn des Lebens? Unterschiedliche Christen würden (leider) unterschiedliche Antworten auf diese Frage geben. Viele Antworten davon wären menschen-zentriert. Aber der Katechismus stellt gleich ganz am Anfang klar, dass sich alles um Gott und nicht um den Menschen dreht, indem er ganz unmissverständlich antwortet:

Die höchste Bestimmung des Menschen ist, Gott zu ehren und sich ewiglich an Ihm zu erfreuen.

Das geht weit über bloß „sterile“ Theologie hinaus und spricht den Menschen in seiner Lebensverantwortung an. Diese kurze erste Frage-Antwort-Kombination entwaffnet den Menschen in seiner sündhaften Ichbezogenheit völlig und fordert ihn auf, sich ohne „Wenn und Aber“ Gott ganz auszuliefern. Diese erste Frage ist in ihrer Antwort fähig, das meiner Ansicht nach größte Problem der westlichen Gemeinde des 21. Jahrhunderts aufzuzeigen und aufzulösen: einen häufig humanistischen und menschzentriert-weltlichen Evangelikalismus zur Umkehr zu Gott in allen Lebensbereichen zu führen.

Ein zweites Beispiel ist die Tatsache, dass das Westminster-Bekenntnis nicht mit der Lehre von Gott, sondern mit der Lehre von der Heiligen Schrift beginnt. Dies ist kein Zufall, sondern spricht aus der Überzeugung, dass alles wirkliche Wissen, inklusive des Wissens über Gott, aus der Schrift stammt. Es ist das angewandte Schriftprinzip, welches uns lehrt, dass die gesamte Realität, die Realität Gottes mit inbegriffen, durch die Heilige Schrift gesehen und interpretiert werden muss. Kein Lebensbereich ist davon ausgenommen.

Eine Hoffnung

In diesen drei kurzen Artikeln habe ich versucht, Ihnen, liebe Leser, nicht nur die Vorteile von Bekenntnissen zu erläutern, sondern Ihnen auch die prominentesten Bekenntnisse der (reformierten) Reformation vorzustellen. Ich hoffe, meine Zeilen haben einen kleinen Beitrag dazu geleistet, dass die reformatorischen Bekenntnisse in Kirchen und Gemeinden im deutschsprachigen Raum wieder mehr gelesen, gekannt und gelehrt werden.

Sacha Walicord ist gebürtiger Österreicher und lebt mit seiner Familie in Grand Rapids im US-Bundestaat Michigan. Er ist dort tätig als Pastor der Walker United Reformed Church.


[1] “fullest and ripest expression”