Im sechsten Monat aber wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt Galiläas namens Nazareth gesandt, zu einer Jungfrau, die verlobt war mit einem Mann namens Joseph, aus dem Haus Davids; und der Name der Jungfrau war Maria. Und der Engel kam zu ihr herein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadigte! Der Herr ist mit dir, du Gesegnete unter den Frauen! Als sie ihn aber sah, erschrak sie über sein Wort und dachte darüber nach, was das für ein Gruß sei. Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Denn du hast Gnade bei Gott gefunden. Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären; und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird regieren über das Haus Jakobs in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Maria aber sprach zu dem Engel: Wie kann das sein, da ich von keinem Mann weiß? Und der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, hat auch einen Sohn empfangen in ihrem Alter und ist jetzt im sechsten Monat, sie, die vorher unfruchtbar genannt wurde. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort! Und der Engel schied von ihr.
Lukas 1,26-38
Man sagt, dass der Mensch sich an alles gewöhnen kann. Diese Fähigkeit zur Gewöhnung ist auf der einen Seite ein wahrer Segen für uns – sie ermöglicht es uns, mit Widrigkeiten des Lebens umzugehen, uns mit weniger zufriedenzugeben und, wenn es sein muss, uns an neue, zunächst fremde Lebensumstände anzupassen. Andererseits stellt diese menschliche Eigenschaft auch eine große Gefahr dar, denn leider gewöhnen wir uns ebenso schnell an die schönen und wunderbaren Dinge des Lebens. Denken wir nur an das lang ersehnte Eigenheim, das anfangs wie ein Neustart des gesamten Lebens erschien; oder an das neue Auto, das uns ein ganz neues Fahrgefühl vermittelte; an die neue Arbeitsstelle, die so abwechslungsreich und spannend schien; oder an den lang erwarteten Nachwuchs, der als Gottes wunderbares Geschenk gefeiert wurde. Doch mit der Zeit hat man sich an all das gewöhnt: das Auto, das Haus, die Freunde, die Arbeitsstelle, die eigenen Kinder. Weil wir uns an diese Dinge gewöhnt haben, halten wir sie für selbstverständlich. Und weil wir diese Dinge für selbstverständlich halten, staunen wir auch nicht mehr über sie.
Dasselbe Phänomen passiert uns mit Weihnachten. Wir schätzen die besondere Zeit. Wir freuen uns über das gemütliche Knistern im Kamin, über warme Pullover, weihnachtliche Musik, die Zeit mit der Familie und all die anderen vertrauten Bräuche. Aber irgendwie haben wir uns auch an Weihnachten gewöhnt. Es ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden, zu einem jährlichen Ritual, das zwar schön, aber nicht mehr wirklich überraschend ist. Dabei ist an Weihnachten etwas geschehen, das alles andere als selbstverständlich ist – als Gott Mensch wurde, hat sich eine unglaubliche Sache nach der anderen ereignet.
Wie kann Weihnachten wieder zu einem Fest des Staunens werden? Indem wir uns von dem biblischen Bericht in Lukas 1 an drei unglaubliche Dinge erinnern lassen, die das Wunder von Weihnachten ausmachen: eine unglaubliche Wahl, ein unglaubliches Kind und ein unglaublicher Glaube.
1. Eine unglaubliche Wahl
Gott wählte sich eine junge Frau namens Maria aus, um die Mutter seines Sohnes Jesus zu werden. Auf den ersten Blick klingt das nicht besonders überraschend – schließlich kennen wir alle die Weihnachtsgeschichte. Doch ob wir diese Wahl tatsächlich als unglaublich empfinden, hängt entscheidend davon ab, wie wir über Maria denken. Viele Menschen haben im Laufe der Kirchengeschichte ein verschobenes Bild von Maria entwickelt. Sie denken zu hoch von ihr, betrachten sie als eine Art heilige Person, die ohne Sünde war, und meinen, Gott habe einfach die Beste ausgesucht, die verfügbar war. In ihrem Sinne könnt man sagen: Mit Maria hat Gott einen guten Fang gemacht. Aber entspricht dieses Bild der biblischen Wahrheit? Wer war Maria wirklich?
Die Geschichte beginnt mit dem Engel Gabriel, einem von Gottes wichtigsten Boten. Sechs Monate zuvor hatte er bereits eine bedeutsame Nachricht überbringen müssen – die Ankündigung der Geburt von Johannes dem Täufer. Damals war er nach Jerusalem gesandt worden zum Zentrum des jüdischen Glaubens zu einem Priester namens Zacharias, einem angesehenen Mann. Jetzt, in Vers 26, erhält der Engel erneut einen Auftrag. Doch diesmal ist alles anders. Nicht in die bedeutende Stadt Jerusalem soll die Reise gehen, sondern in eine unbedeutende Stadt irgendwo in der Provinz Galiläa.
Galiläa galt unter frommen Juden als wenig angesehen. Die Region war von fremden Völkern, von Heiden umgeben, und man nahm es dort nicht ganz so genau mit den jüdischen Speisegesetzen und Reinheitsvorschriften. Noch schlimmer war Nazareth selbst. Heute ist Nazareth vielen Christen ein Begriff, weil Jesus dort aufgewachsen ist. Aber damals war der Ort völlig unbedeutend. Im Alten Testament wird er kein einziges Mal erwähnt. Nazareth lag abseits der wichtigen Handelsrouten und hatte einen schlechten Ruf. Selbst Nathanael, einer der späteren Jünger Jesu, der selbst aus Galiläa stammte, fragte skeptisch: Kann aus Nazareth etwas Gutes kommen? (Joh 1,46). Galiläa war in den Augen der Jerusalemer Elite schon schlimm genug, aber Nazareth war dann noch eine Nummer schlimmer.
Eine unbedeutende Frau
In diesen Ort also wurde der Engel Gabriel geschickt. Und anders als bei seinem letzten Auftrag ging es nicht um einen wichtigen Mann, einen Priester, sondern um eine junge Frau. Vers 27 beschreibt den Empfänger der Nachricht: eine Jungfrau, die verlobt war mit einem Mann namens Joseph, aus dem Haus Davids; und der Name der Jungfrau war Maria. Maria war vielleicht 15 oder 16 Jahre alt – in diesem Alter heiratete man damals. Sie war verlobt, aber noch nicht verheiratet. Sie hatte im Leben noch nicht viel erreicht. Zusammengefasst: eine unbedeutende Frau in einer unbedeutenden Stadt.
Und auch Maria selbst dachte nicht gerade hoch von sich. Das offenbart uns ihre Reaktion auf die Worte des Engels. Der Engel begrüßte sie mit den Worten: Sei gegrüßt, du Begnadigte! Der Herr ist mit dir, du Gesegnete unter den Frauen! Ihre Reaktion war nicht Stolz oder Genugtuung, sondern Erschrecken und Nachdenklichkeit. Sie war über den Inhalt der Worte überrascht und versuchte, diesen ungewöhnlichen Gruß einzuordnen. Was bedeutete es, „Begnadigte“ genannt zu werden? Der Titel machte deutlich, dass sie die Empfängerin der Gnade Gottes war und nicht die Spenderin. Sie war nicht die Mutter der Gnade Gottes, sondern die Tochter der Gnade Gottes. Sie hatte sich Gottes Gnade nicht verdient, sondern bekam sie geschenkt.
Eine ungewöhnliche Wahl
Maria hatte nichts, worauf sie sich hätte etwas einbilden können. Sie war über diese Auswahl selbst zutiefst überrascht. Sie fragte sich: „Warum eigentlich ich?“ Maria dachte nicht: „Endlich hat Gott gesehen, wie gut ich bin.“ Sie fragte sich vielmehr, ob der Engel vielleicht die Hausnummer verwechselt hatte. Maria dachte klein von sich. Im selben Kapitel sagt sie in Vers 48: Gott hat meine Niedrigkeit, die Niedrigkeit einer Magd, angesehen. Maria war nicht auf der Suche nach einem Vater für ihre Kinder – sie war ja schon Josef versprochen. Aber Gott war auf der Suche nach ihr.
Und deshalb sagt der Engel in Vers 30: Fürchte dich nicht, Maria! Denn du hast Gnade bei Gott gefunden. Maria sollte von Anfang an klar werden: Gott hat dich ausgesucht, aber nicht wegen deiner Leistungen, nicht wegen deiner bedeutenden Abstammung, sondern einfach, weil Gott dich erwählt hat.
Stellen wir uns einmal vor: Gott stand vor derselben Frage: Wer soll die Mutter meines Sohnes werden? Wer ist würdig, die Mutter meines Sohnes zu werden? Wen würden wir wählen? Eine Frau aus einer finanziell schwachen Familie, die gerade so über die Runden kommt? Oder die Frau aus der mächtigen, reichen, klugen Familie, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann? Gott hatte diese Wahl. Und Gott machte das Unglaubliche: Er wählte eine unbedeutende junge Frau in einer unbedeutenden Stadt aus, die Mutter seines Sohnes zu werden. Einfach unglaublich.
Gottes Gnade auch für dich
Vielleicht fragst du dich jetzt: Und was hat das mit mir zu tun? Die Geschichte mit Maria ist doch schon über 2000 Jahre alt. Ja, es ist Marias Geschichte, und doch ist es auch deine Geschichte: Gott hat sich Maria ausgesucht, die Mutter des Sohnes Gottes zu werden, um dich auszusuchen, sein Kind zu werden. Der Apostel Paulus schreibt im Epheserbrief (1,3–4): Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit jedem geistlichen Segen in den himmlischen Regionen in Christus, wie er uns in ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, damit wir heilig und tadellos vor ihm seien in Liebe. Er hat uns vorherbestimmt zur Sohnschaft für sich selbst durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade, mit der er uns begnadigt hat in dem Geliebten.
Kurz zusammengefasst: Gott hat Maria ausgewählt, um dich zu seinem Kind zu machen. Gottes Liebe ging so weit, dass er bereit war, ganz klein zu werden. Wenn dich Weihnachten nicht mehr begeistert, dann liegt es vielleicht daran, dass du vergessen hast, was für ein unverdientes Geschenk es ist, Gottes auserwähltes Kind zu sein. Gott hatte keinen Grund, dich zu seinem Kind zu machen. Gott kam und kommt auch gut ohne dich zurecht. Er braucht dich nicht. Das klingt hart, ist aber wichtig zu verstehen. Denn erst dann begreifen wir die Tiefe seiner Liebe: Gott will dich. Das ist die Botschaft von Weihnachten. Wenn Gott dich nötig hätte, dann könntest du dir noch etwas darauf einbilden. Dann wäre es nicht Liebe. Aber weil Gott dich nicht braucht, aber dennoch will, ist Weihnachten unglaublich wunderbar.
Wer bist du in deinen eigenen Augen? Denkst du, Gott habe einen guten Fang mit dir gemacht? Glaubst du, Gott könne eigentlich ziemlich zufrieden mit dir sein? Wenn du so denkst, dann kannst du über Weihnachten nicht wirklich staunen. Das Staunen beginnt damit, dass wir begreifen: Wir haben nichts vorzuweisen, aber Gott schenkt uns alles.
2. Ein unglaubliches Kind
Wir haben das Staunen über Weihnachten verlernt, weil wir zu groß über Maria und damit auch zu groß über uns gedacht haben. Im zweiten Punkt soll es darum gehen, dass wir aber auch das Staunen verlernt haben, weil wir zu klein von diesem Kind gedacht haben. Dieser Jesus ist für viele Menschen heute nicht mehr als ein guter Lehrer, ein kluger Mann, der sich für Frieden eingesetzt hat, der sich um Kranke gekümmert hat und vorbildlich lebte. Das ist alles wahr, aber es ist nicht das Entscheidende.
In Vers 31 macht der Engel die Ankündigung: Und siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären; und du sollst ihm den Namen Jesus geben. Ein Kind zu bekommen war damals vermutlich der Traum einer jeden Frau. Und bald, so dachte vermutlich Maria, sollte es auch für sie möglich sein, denn schließlich war sie ja mit einem Mann verlobt. So würde also auch sie bald ein Kind bekommen. So weit, so unspektakulär.
Auch der Name ist nicht einmalig. Einige Fußballspieler heißen heute so. Der Name Jesus ist die griechische Übersetzung des hebräischen Namens Josua und bedeutet „Gott ist Rettung“. Für Maria aber wäre dieses Kind natürlich einmalig. Wie jede andere Mutter würde sie stolz auf dieses Baby sein. Natürlich: Jeder Papa oder jede Mama hält sein Baby für das schönste und niedlichste Baby auf der ganzen Welt. Aber wenn wir ehrlich sind: In Deutschland ist dein Kind einfach eine Zahl in der Statistik. Heutzutage werden pro Tag in Deutschland knapp 2000 Babys geboren. Ist dieses Kind, das Maria erwartete, auch einfach ein weiteres Kind in der Statistik?
Kein Kind wie jedes andere
Nein, dieses Kind sollte nicht ein Kind wie jedes andere sein. Was ist das Besondere an dem Baby, das Maria erwartete? Das verraten uns die Verse 32 und 33: Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben; und er wird regieren über das Haus Jakobs in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben. Maria wird sich gefragt haben: Von wem redet der Engel da? Von meinem Kind? Das hört sich eher danach an, als ob Gott ein Kind bekommt. Richtig, genau darum geht es: Wessen Kind ist das eigentlich jetzt: Ein Menschen-Kind oder ein Gottes-Kind? Eben beides. Wahrer Mensch als Sohn der Maria, wahrer Gott als Sohn Gottes.
Wer damals das Alte Testament kannte, der wusste sofort, dass hier Weltbewegendes angekündigt wurde. Schauen wir uns die Beschreibung an, die der Engel macht:
Dieses Kind wird groß sein. Hier geht es nicht um die körperliche Größe, sondern um die Bedeutung. Die Beschreibung geht weiter: Dieses Kind wird Sohn des Höchsten genannt werden. Johannes, das Kind von Zacharias und Elisabeth wird in Vers 76 Prophet des Höchsten genannt. Jesus ist aber mehr: Er ist der Sohn des Höchsten höchstpersönlich.
Dieses Kind wird den Thron Davids erhalten. In 2. Samuel 7 hat Gott versprochen, dass immer ein Nachkomme aus dem Haus Davids auf dem Thron sitzen wird. Aber zur Zeit von Maria gab es keinen Nachkommen von David auf dem Thron. Die Römer herrschten im Land. Dabei hatte Gott doch versprochen, dass dieses Königreich ewig bestehen wird. Wie passte das zusammen? Seit 2. Samuel 7 wartete Gottes Volk auf die Ankunft von Gottes König. Und jetzt sollte es soweit sein. Das Warten hatte 1000 Jahre gedauert und sollte jetzt vorbei sein. Dieses Kind sollte der lang angekündigte König sein. Durch Josef, den Verlobten Marias, wurde auch die Linie zum König David hergestellt, sodass das Kind tatsächlich ein Nachkomme Davids sein würde.
Aber die Beschreibung geht noch weiter: Dieses Kind wird in Ewigkeit über das Haus Jakob herrschen. Es geht also um eine Herrschaft, die nie mehr aufhört. Auch dieser Gedanke findet sich im Alten Testament, beispielsweise in Jesaja 9,5–6: Denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben; und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und man nennt seinen Namen: Wunderbarer, Ratgeber, starker Gott, Ewig-Vater, Friedefürst. Die Mehrung der Herrschaft und der Friede werden kein Ende haben auf dem Thron Davids und über seinem Königreich, dass er es gründe und festige mit Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Wahrer Gott und wahrer Mensch
In diesem Kind laufen alle Linien des Alten Testaments zusammen: Er ist Gottessohn, er ist Menschensohn, er ist Davidsohn. Maria merkte: Dieses Kind war wirklich anders. Nicht nur für sie würde das Kind etwas Besonderes sein, sondern für die ganze Welt. Ja, dieses Kind würde ein Mensch sein, weil es in ihrem Bauch heranwächst, aber dieses Kind würde auch Gott sein, weil es Gottes Sohn war. Dieses Kind ist einfach unglaublich, weil es ganz Gott und ganz Mensch ist.
Jesus ist wahrer Mensch: Er hatte einen Körper wie du und ich. Er lernte und wurde immer weiser (Lukas 2,52). Er wurde müde von einer Reise (Johannes 4,6). Er hatte Hunger (Matthäus 4,2). Er hatte Gefühle und weinte (Johannes 11,35). Und zuletzt starb er sogar. Alles Kennzeichen eines Menschen.
Jesus ist aber auch wahrer Gott: Wie hier wird er immer wieder als Sohn Gottes bezeichnet. Er tut Dinge, die nur Gott tun kann: Er heilte Menschen, er herrschte über die Schöpfung und stillte den Sturm (Matthäus 8,26–27). Er vermehrte Brote und Fische (Matthäus 14,19). Er vergab Sünden.
Warum ist das wichtig, dass wir an dieser Lehre „Jesus ist wahrer Mensch und wahrer Gott“ festhalten? Wenn Jesus nicht Mensch wäre, dann hätte er nicht für unsere Schuld und Sünde stellvertretend sterben können. Nur ein Mensch kann andere Menschen vertreten. Nur ein Mensch konnte den Platz des ersten Adams einnehmen und Gottes ursprünglichen Plan über die Schöpfung erfüllen. Nur ein Mensch kann unsere Not wirklich nachempfinden. Nur ein Mensch kann wirklich sterben.
Wenn Jesus aber nicht auch Gott wäre, dann könnte er nicht sündlos sein. Dann hätte er unsere Schuld nicht tragen können. Dann hätte er nicht wieder auferstehen können. Kurz: Jesus musste Mensch sein, um sterben zu können, und Jesus musste Gott sein, um auferstehen zu können. Wenn Jesus also nicht ganz Gott und ganz Mensch wäre, dann hätten wir keine Errettung und letztlich kein Christentum. So ist es auch kein Zufall, dass im Laufe der Geschichte jene Gruppen, die den Glauben an die vollkommene Gottheit Christi aufgegeben haben, nicht lange im christlichen Glauben geblieben sind.
Wenn dich Weihnachten nicht staunen lässt, dann liegt es vielleicht daran, dass du zu klein von diesem Kind denkst. Wie denkst du also über dieses Kind? Ist er einfach ein besserer Mensch? Ein gutes Vorbild? Oder ist er wirklich ganz Mensch und ganz Gott gleichzeitig?
3. Ein unglaublicher Glaube
Bei der Geburt von Jesus erfüllt sich, was Gott Jahrhunderte vorher in Jesaja 7,14 angekündigt hatte: Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden. Als Maria die Worte des Engels hörte, konnte sie es nicht mit ihrer Wirklichkeit zusammenbringen. Sie fragte in Vers 34: Wie kann das sein, da ich von keinem Mann weiß? Ihre Frage ist: Ich habe doch mit keinem Mann geschlafen, wie soll ich daher schwanger werden? Das ist doch unmöglich.
Einige Menschen meinen, dass man heute nicht mehr an die Jungfrauengeburt glauben könne. Heute sind wir ja aufgeklärt. Heute wissen wir, wie Babys entstehen. Ja, heute wissen wir sicherlich mehr über Zeugung und Geburt als damals. Aber auch wenn die Menschen damals noch nichts über X- und Y-Chromosomen wussten, so war ihnen doch klar, dass die Geburt eines Babys das Ergebnis einer sexuellen Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau war. Schon damals war klar, dass Frauen, die behaupteten, auf einem anderen Weg schwanger geworden zu sein, etwas zu vertuschen hatten. Maria wusste das auch. Maria hatte deshalb die gleiche Frage, die heute viele zur Geburt von Jesus haben: Das geht doch nicht. Das ist unmöglich. Und das stimmt. Aber das ist genau der Punkt. Gottes Handeln ist übernatürlich. Es ist bei Menschen unmöglich, aber nicht bei Gott.
Es ist tatsächlich unbegreiflich. Genauso unbegreiflich, wie es das vierjährige Kind empfindet, dem die Mutter ausführlich erklärt, wie der Same des Mannes die Eizelle der Frau befruchtet hat. Das Gesicht des Kindes wird vermutlich ein einziges Fragezeichen sein. Das Kind wird es einfach nicht begreifen können. Und deshalb greifen Eltern oft auf ganz einfache Erklärungen zurück. Andere Eltern erzählen ihren Kindern die Geschichte vom Storch oder sagen, sie hätten es einfach aus dem Krankenhaus mitgebracht. Es ist der verzweifelte Versuch der Eltern, dem kleinen Kind zu erklären, wo es herkommt.
Das Wunder der Jungfrauengeburt
Stellen wir uns vor: Der allmächtige, weise Gott ist der Vater und muss seinen Kindern, uns, erklären, wie Jesus gezeugt wurde. Wie würde sich das anhören? Die Antwort finden wir in Vers 35: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Ähnlich wie Kinder nicht die ganzen Details der Zeugung kennen müssen, muss Maria auch nicht die mechanischen Abläufe kennen. Der Engel lässt die Details im Geheimen. Aber was klar ist: Dieses Kind, das in ihrem Bauch heranwachsen wird, ist der Sohn Gottes. Und das ist möglich, weil der Heilige Geist über Maria kommen wird und die Kraft des Höchsten sie überschatten wird.
Der Geist, der auch bei der Erschaffung des Universums über dem Wasser schwebte, wird jetzt wieder sein Werk tun. Was hier geschieht, ist Neuschöpfung. Gott, der mächtig ist, ein Universum zu erschaffen, dieser Gott ist auch fähig, ein Kind im Bauch einer Frau zu erschaffen.
Vielleicht fragst du dich: Warum ist das so wichtig, dass wir von der Jungfrauengeburt sprechen? Jeden Sonntag bekennen wir es im Apostolischen Glaubensbekenntnis: „Geboren von der Jungfrau Maria.“ Warum ist das für uns heute so wichtig, an dieser Jungfrauengeburt festzuhalten? Weil damit alles steht und fällt. Nur so kann dieses Kind Gott und Mensch zugleich sein. Nur so kann dieses Kind ohne Sünde sein. Nur so kann dieses Kind der Retter der Welt sein. Nur so wird klar: Rettung kommt allein von Gott. Wie der erste Adam eine Schöpfung Gottes und menschlich unmöglich war, ist auch die Erschaffung des zweiten Adam menschlich unmöglich. Gott sagt damit: Ich habe meine Schöpfung nicht aufgegeben. An die Jungfrauengeburt zu glauben, ist für den kein Problem, der Gott zutraut, die Welt erschaffen zu haben.
Die Antwort im Glauben
Unglaublich, oder? Das war es auch für Maria. Wie reagierte sie darauf? Was ist ihre Antwort? Ein unglaublicher Glaube. Vielleicht sagst du: Das kann ich nicht glauben. Ich kann nicht so einen großen Glauben wie Maria aufbringen. An einen Menschen zu glauben, der gleichzeitig Gott ist, passt einfach nicht in meinen Kopf. An eine Jungfrauengeburt zu glauben, ist zu viel verlangt.
Aber Maria ging es nicht anders. Sie hatte auch ihre Fragen und Zweifel: Konnte das wirklich wahr sein? Wie wird Josef damit umgehen, wenn er bemerkt, dass ich schwanger bin? Was werden die Leute sagen? Werde ich aus der Gesellschaft verstoßen?
Was macht Maria mit all ihren Zweifeln und Sorgen? Sie glaubt. Sie glaubte trotz ihrer Zweifel. Kurz: ein unglaublicher Glaube. Wie ist das bei Maria möglich? Gott weiß natürlich, dass er damit von Maria Unmögliches verlangt. Und so gibt der Engel ihr einen lebenden Beweis, nämlich Elisabeth, ihre Verwandte. Auch sie erwartete ein Kind, obwohl alle wussten, dass bei ihr nichts mehr möglich war. Die Begründung dafür liefert der Engel in Vers 37: Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.
Wie soll Maria also ihre Zweifel besiegen? Indem sie auf die Größe ihres Glaubens blickt? Nein, sondern indem sie auf Gottes Stärke blickt: Bei ihm ist kein Ding unmöglich. Ja, auch wir sollten unsere Zweifel wahrnehmen. Ja, es ist verständlich, wenn wir uns die Jungfrauengeburt nicht vorstellen können. Das ist schließlich unmöglich. Aber bei Gott ist eben kein Ding unmöglich.
Und so antwortet Maria in Vers 38: Siehe, ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe nach deinem Willen. Auf das ungläubige Staunen folgt das schlichte Annehmen. Sie sagt nicht: „Aha, jetzt hab ich’s verstanden!“ Auch nicht: „Das ist ja absolut spitze, da mach ich doch gerne mit!“ Sondern sie sagt: „Das ergibt zwar alles keinen Sinn für mich, aber ich will trotzdem folgen.“
Marias Glaube kann auch dein Glaube werden. Es gibt Menschen, die sich weigern, auch nur einen Schritt auf Jesus zuzugehen, solange ihnen nicht alles klar ist – rational, emotional, persönlich. Ihre religiöse Welt ist schwarz-weiß: entweder die totale Gottesbegeisterung oder buchstäblich nichts. Aber manchmal können wir es nur so machen wie Maria – uns auf Gott einlassen und ihm vertrauen, trotz unserer Ängste und Bedenken.
Jeder, der Christ werden möchte, muss im Wesentlichen das Gleiche tun wie Maria: Das Risiko des Glaubens eingehen. Maria ist bereit, dieses Kind in ihre Hände aufzunehmen und in ihren Händen zu halten. Aber am Ende wird es dieses Kind sein, das sie in seinen Händen hält. Am Ende seines Lebens ist nämlich dieses Kind auch für seine Mutter gestorben. Bist du bereit, das Risiko des Glaubens für dieses Kind einzugehen, damit das Leben dieses Kindes dir echtes Leben schenkt?
Ein Fest des Staunens
Die Frage zu Beginn war: Wie kann Weihnachten wieder neu ein Fest des Staunens werden? Die Antwort lautet: Indem wir uns zwei Fragen stellen: Wie denkst du über Maria und damit über Gottes Wahl? Wie denkst du über dieses Kind „Jesus“? Und wenn du dann denkst, das ist einfach unglaublich, zu schön, um wahr zu sein, dann lass dich mit dem „unglaublichen Glauben“ beschenken.
Weihnachten wird wieder zum Staunen, wenn wir begreifen, dass Gottes Wahl uns gilt – nicht wegen dem, was wir sind, sondern trotz dem, was wir sind. Es wird zum Staunen, wenn wir Jesus in seiner ganzen Fülle sehen – nicht nur als guten Menschen, sondern als Gott, der Mensch wurde. Und es wird zum Staunen, wenn wir wie Maria den Schritt des Glaubens wagen – nicht weil wir alles verstehen, sondern weil wir dem vertrauen, bei dem kein Ding unmöglich ist.
In diesem Sinne: Möge Weihnachten für uns alle wieder zu einem Fest des Staunens werden!
Amen.
Boris Giesbrecht ist Studienleiter der Akademie für Reformatorische Theologie, wo er im Bereich der Biblischen und Praktischen Theologie lehrt. Er ist ordinierter Pastor der Bekennenden Evangelisch-Reformierten Gemeinden (BERG). Gemeinsam mit seiner Frau Maria und den drei Kindern gehört er zur BERG Gießen.