Alle Segnungen fließen aus dem Versöhnungswerk Gottes

Alle Segnungen fließen aus dem Versöhnungswerk Gottes

Gemeinde unseres Herrn Jesus Christus!

In diesem Psalm ist von der Schöpfung Gottes die Rede und – namentlich am Ende – vom Segen Gottes und vom Ernten. Aber David redet nicht nur darüber, sondern er singt davon. Er jubiliert über das, was Gott getan hat: Du suchst das Land [oder: die Erde] heim und bewässerst es und machst es sehr reich. Der Strom Gottes hat Wasser in Fülle. Du lässt ihr Getreide gut geraten, denn so bereitest du das Land [die Erde] zu. Du tränkst seine Furchen, feuchtest seine Schollen. Mit Regenschauern machst du es weich und segnest sein Gewächs. Du krönst das Jahr mit deiner Güte, und deine Fußstapfen triefen von Fett. Es triefen Auen in der Steppe, und mit Jubel gürten sich die Hügel. Die Weiden kleiden sich mit Schafen, und die Täler bedecken sich mit Korn; sie jauchzen, ja, sie singen (Ps. 65,10-14).

Indem David gleichsam in das Jauchzen und Singen der Hügel, Auen, Weiden und Felder einstimmt, preist er den Gott, der sich im zurückliegenden Jahr so gnädig, so mächtig und so überfließend reich erwiesen hat.

Du krönst das Jahr mit deiner Güte. Diese Aussage macht darauf aufmerksam, dass in einem gewissen Sinn die Erntezeit der Höhepunkt des Jahres ist. Gott sorgt für uns tagtäglich. Aber am deutlichsten erkennen wir es, wenn die Auen triefen, die Täler sich mit Korn bedecken.

Gott der Herr schuf den Menschen, damit er als Haushalter über die Schöpfung herrscht. Alles sollte dem Menschen untertan sein, damit der Mensch dem untertan ist und dem dient, in dessen Ebenbild er geschaffen worden ist.

Aber obwohl Gott den Menschen schuf, damit er über das Geschaffene regiert, erschuf er ihn nicht als ein von der Schöpfung, von seiner Umwelt unabhängiges Wesen. Gott schuf Adam nicht als eine autarke Kreatur. Vielmehr sollte der Mensch sich von der Schöpfung ernähren. Hören wir einmal, was die Heilige Schrift im ersten Kapitel des Wortes Gottes dazu sagt: Und Gott schuf den Menschen in seinem Bild, im Bild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Und Gott segnete sie; und […] Gott sprach: Siehe, ich habe euch alles samentragende Gewächs gegeben, das auf der ganzen Erdoberfläche wächst, auch alle Bäume, an denen samentragende Früchte sind. Sie sollen euch zur Nahrung dienen. Aber allen Tieren der Erde und allen Vögeln des Himmels und allem, was sich regt auf der Erde, allem, in dem eine lebendige Seele ist, habe ich jedes grüne Kraut zur Nahrung gegeben! Und es geschah so (1Mos. 1,27-30).

Der Mensch, der über seine Umgebung herrschen sollte, auch über die Tiere, war berechtigt, ja es war unverzichtbar, dass er sich von dem ernährte, was um ihn herum wuchs und gedieh.

So setzte Gott den Menschen in einen Garten. Adam bekam den Auftrag, den Garten Eden zu bebauen und zu bewahren (1Mos. 2,15). Obwohl der Garten riesige Ausmaße hatte – man denke nur an den Strom Gottes, der diesen Garten bewässerte und sich dann in vier Ströme teilte – war es für das erste Menschenpaar offenkundig kein Problem, dieses gewaltige Gebiet zu bewirtschaften (1Mos. 2,15). Zum einen lag das an der physischen Kraft, mit der unsere Eltern vor dem Sündenfall ausgestattet waren – Adam war noch nicht der Sterblichkeit verfallen. Zum anderen war der Erdboden noch nicht verflucht.

Aber dann kam der Sündenfall. Die Menschen kamen unter die Herrschaft des Todes. Adam und Eva wurden aus dem Garten Eden vertrieben, und der Erdboden wurde von Gott verflucht. In diesem Zusammenhang sagte Gott zu Adam: Mit Mühe sollst du dich nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll der Erdboden dir tragen, und du sollst das Gewächs des Feldes essen. Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zurückkehrst zum Erdboden, denn von ihm bist du genommen (1Mos. 3,17-19).

Von nun an mussten die Menschen sich anstrengen, um ihr tägliches Brot zu gewinnen. Sie mussten schuften und sich abquälen. Und bei aller Mühsal hatten sie immer wieder zu erfahren, wie viel von ihrer Arbeit vergeblich war und durch Dornen und Disteln zuschanden wurde. Und irgendwann starben sie dann.

Mehrere Generationen nach der Vertreibung aus dem Garten Eden rief Lamech bei der Geburt seines Sohnes Noah sehnsuchtsvoll aus: Der wird uns trösten über unsere Arbeit und die Mühe unserer Hände, die von dem Erdboden herrührt, den der Herr verflucht hat (1Mos. 5,29). Die Menschen wussten also damals noch etwas davon, dass es einmal anders war als es sich während ihrer Lebenszeit verhielt. Es gab einst eine Zeit, in der das Arbeiten ohne Anstrengung erfolgt war. Aber inzwischen war ihr Alltag ein mühsames und beschwerliches Abrackern geworden und ihr Leben ein immerfort währendes Sterben.

Und Noah… Nein, er tröstete die damalige Menschheit nicht über die Arbeit und die Mühe ihrer Hände, wie sein Vater erhofft hatte. Vielmehr kam in seinen Tagen das Gericht Gottes. In der Sintflut ging die Welt unter bis auf ganz wenige Menschen und Tiere, die in die Arche aufgenommen wurden.

Wie ging es nach der Sintflut weiter? Das erste, was geschah, war etwas durch und durch Merkwürdiges. Unmittelbar nachdem Noah die Tore der Arche geöffnet hatte und die Tiere herausgeströmt waren, baute dieser Mann einen riesigen Altar. Darauf opferte er Tiere. Von manchen Tieren, es waren Opfertiere, hatte Noah sieben Paare mitgenommen (1Mos. 7,2). Aber trotzdem. Ist es nicht merkwürdig, dass dieser Mann Tiere, die er monatelang so mühsam in der Arche gepflegt und gehegt hatte, unmittelbar nach dem Ende der Sintflut schlachtete? (1Mos. 8,20). Wäre es nicht naheliegender gewesen, stattdessen zu seinen Söhnen zu sagen: „Nun lasst uns ranklotzen, es gibt viel zu tun!“? Aber Noah baute stattdessen als erstes einen Altar, und er veranstaltete darauf eine riesige Opferung.

Noah hatte eines verstanden: Wenn sich Gott nicht über uns erbarmt, wenn unsere Sünde nicht gegenüber Gott gesühnt wird, dann sind wir verloren. Dann ist alles verloren, dann ist alles sinnlos. Es heißt weiter: Und der Herr roch den lieblichen Geruch, und der Herr sprach in seinem Herzen: Ich will künftig den Erdboden nicht mehr verfluchen um des Menschen willen, obwohl das Trachten des menschlichen Herzens böse ist von seiner Jugend an: auch will ich künftig nicht mehr alles Lebendige schlagen, wie ich es getan habe. Von nun an soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht, solange die Erde besteht (1Mos. 8,21.22).

Wohlgemerkt: Diese Verheißung über Saat und Ernte [Saatzeit und Erntezeit] gab Gott, nachdem er den lieblichen Geruch der Tieropfer wahrgenommen hatte.

Als Gott dann die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob berufen hatte und aus ihnen in Ägypten das Volk Israel entstanden war, führte Gott sein Volk aus der Knechtschaft in die Freiheit. Am Berg Sinai gab er ihnen dazu seine Gebote. Unter anderem ordnete er an, dass das Volk dreimal im Jahr vor sein Angesicht treten solle. Die Zeitpunkte waren stets mit der Saat- und der Erntezeit verknüpft.

Erstens war da das Passahfest. Dieses Fest war mit dem Fest der ungesäuerten Brote verbunden: Es fand im März/April statt, also in der Zeit der Aussaat des Getreides.

Zweitens sollte das Volk zum Fest der Erstlinge vor Gottes Angesicht erscheinen. Wie der Name des Festes bereits sagt, wurden in dieser Zeit die ersten Früchte geerntet. Das war zur Zeit unseres Pfingstfestes.

Und zum dritten Mal war das Volk aufgerufen, zum Laubhüttenfest zum Tempel zu pilgern. Dieses Fest fand im Herbst statt, nachdem die gesamte Ernte eingefahren war. Es entspricht zeitlich unserem Erntedankfest.

Es ist offensichtlich, dass die Aussagen in Psalm 65 das Laubhüttenfest im Blick haben. Das Laubhüttenfest begann – nach biblischer Zählung – am 15. Tag des 7. Monats. Nach unserer Zählweise ist das der September/Oktober. Das Laubhüttenfest dauerte sieben Tage, bis zum 22. Tag (3Mos. 23,33.34). Es war ein Fest der Freude, des Jubels angesichts der eingebrachten Ernte. Es gehörte zu den Festfeierlichkeiten, dass man Gott nicht nur einen Teil der geernteten Früchte als Opfer darbrachte, sondern ihm auch Tiere opferte (4Mos. 29,12-39).

Wenige Tage vor diesem Laubhüttenfest, am 10. Tag des siebten Monats, fand der Versöhnungstag statt, der so genannte Iom Kippur.

Wenn wir diese Verbindung zwischen Versöhnungstag und Laubhüttenfest (Erntedankfest) im Hinterkopf behalten, wird verständlich, dass Psalm 65 zwar mit dem Segen Gottes in der Ernte endet, aber die Versöhnung Gottes ins Blickfeld rückt. Darum heißt es zu Beginn, dass Gott versöhnt, dass er sühnt: Unsere Übertretungen – du wirst sie sühnen (Ps. 65,4).

Es wäre ein großes Missverständnis zu meinen, dass all das, was hier geschrieben steht, bevor vom Ernten die Rede ist, lediglich eine Art Eingangsportal dazu ist. Eher verhält es sich umgekehrt. Das, was wir gegen Ende des Psalms über den Segen Gottes in der Ernte lesen, ist eine Auswirkung dessen, was uns davor über Gott und sein Versöhnungswerk verkündet wird. Ich verkündige Ihnen das Wort Gottes aus Psalm 65 unter dem Thema:

Alle Segnungen fließen aus dem Versöhnungswerk Gottes.

Aufgrund dieses Versöhnungswerkes erweist sich Gott

  1. als der barmherzige und gnädige Gott (Ps. 65,1-5)
  2. als der machtvoll rettende Gott (Ps. 65,6-9)
  3. als der ewig-reiche und der überfließend schenkende Gott (Ps. 65,10-14).

 

Aufgrund des Versöhnungswerkes Gottes erweist sich Gott

1. als der barmherzige und gnädige Gott (Ps. 65,1-5)

Im Zentrum dieses Psalms steht der fünfte Vers. Hier lesen wir ein Wort des Bekenntnisses, das in ein Segenswort einmündet: Wohl dem, den du erwählst und zu dir nahen lässt, dass er wohne in deinen Vorhöfen! Wir werden uns sättigen von den Gütern deines Hauses, deines heiligen Tempels.

Dieses Wort wollen wir heute Morgen als Losung nehmen: Wir werden uns sättigen von den Gütern deines Hauses, deines heiligen Tempels.

Konzentrieren wir uns zunächst auf den zweiten Teil dieses Verses. Dort stehen zwei Aussagen beieinander, die möglicherweise für unser Empfinden in einer Spannung zueinander stehen. Der Satz beginnt mit: Wir werden uns sättigen von den Gütern deines Hauses. Hier ist die Rede von Gütern. Wir können dieses Wort auch übersetzen mit dem Guten deines Hauses.

Gleich darauf lesen wir von dem Tempel. Natürlich ist mit dem Tempel dasselbe gemeint wie vorher mit Haus. Aber David fügt hier zum Begriff Tempel ausgerechnet noch das Attribut heilig hinzu: … von den Gütern deines Hauses, deines heiligen Tempels.

Einerseits heißt es also: Du wirst uns sättigen von den Gütern [dem Guten] deines Hauses. Das Wort sättigen lässt uns denken an Küche und an das in einigen Stunden zu erwartende Mittagessen. Auf jeden Fall: Der Begriff sättigen ruft bei uns angenehme, vertraute Gefühle hervor. Daran schließt sich unmittelbar eine Aussage über den Tempel an, bei der ausdrücklich noch hingewiesen wird, dass der Tempel heilig ist.

Vermutlich gibt es in unserer Sprache kein anderes Wort als den Begriff heilig, der uns so schnell von den alltäglichen, den gewöhnlichen Dingen dieser Welt weglenkt, hin zu Gott: Denn das ist uns klar: Was heilig ist, gehört nicht zu dieser Welt, sondern es ist abgesondert, es ist Gott zugeordnet.

Wenn wir uns das klarmachen, dann kann es sein, dass es uns angesichts des Wortes heilig erst einmal die Kehle zuschnürt. Von sättigen kann nicht die Rede sein. Auf jeden Fall scheint zwischen heilig und sattwerden nach unserem Empfinden eine Spannung zu bestehen. Irgendwie passen sie nicht gut zusammen, oder? Wie kann sättigen zusammengebracht werden mit der Heiligkeit Gottes? Was meint David, wenn er davon spricht, dass wir uns sättigen von den reichen Gütern aus deinem Haus, ja, aus deinem heiligen Tempel?

Offenkundig macht uns der Psalm darauf aufmerksam, dass das, was uns als alltäglich erscheint, nicht von Gott losgelöst existiert. Vielmehr ist auch das dem Schöpfer zugeordnet. Es verhält sich so, als würde David dazu auffordern: Denke einmal über die Güter nach, die du tagtäglich empfängst und durch die du satt wirst. Das, was dich täglich satt macht, ist nicht etwas, das mit Gott nichts zu tun hat, sondern diese Güter kommen von Gott.

Wie das möglich ist und warum, da – so hat es jedenfalls den Anschein – nimmt Psalm 65 einen langen Anlauf. Vielleicht liegt das gerade daran, dass es für uns eben nicht so leicht nachvollziehbar ist, wie sattwerden mit heilig zusammenpasst. Psalm 65 erläutert uns dies.

Auf dich harrt der Lobgesang, o Gott, in Zion (Ps. 65,1), so lautet der erste Vers in der Schlachter 2000-Übersetzung. Wir werden also nach Zion verwiesen. Zur Zeit des Alten Testamentes sollte das Volk Gottes dorthin pilgern. Dort war seit Davids Zeiten die Offenbarungsstätte Gottes (2Sam. 6).

In Psalm 65 wird zunächst die Frage beantwortet, wie das Volk Gottes zum Gottesdienst kommen soll: In welcher Weise sollen diejenigen, die Gott gehören, Gottesdienst feiern?

Das erste, was uns dazu gesagt wird, ist, dass Gott von uns Lobgesang erwartet: Auf dich harrt der Lobgesang, o Gott, in Zion. Dies klingt heutzutage bei manchen Menschen sehr attraktiv: Worship ist angesagt.

Aber bezeichnenderweise fügt der Psalmist hinzu: Auf dich harrt schweigend der Lobgesang, o Gott in Zion. Es ist interessant, dass bereits in der griechischen Übersetzung des Alten Testamentes, der Septuaginta, das Wort schweigend weggelassen worden ist. Auch die Übersetzer der Schlachter 2000-Ausgabe haben dieses Wort gestrichen. Schade! Vermutlich weil sie mit diesem Wort nichts anfangen konnten. Es ist ja auch nicht ohne weiteres zu verstehen: Einerseits ist die Rede von Lobgesang, andererseits von Schweigen. Das passt für uns nicht zusammen, oder?

Aber dadurch werden wir zunächst einmal darauf aufmerksam gemacht, dass wahrer Lobgesang Gottes nicht ein emotionales Aufheizen ist. Beim rechten Lobpreis geht es nicht darum, sich „warm zu singen“ oder enthusiastisch in Ekstase zu geraten. Etwas Derartiges wäre in Wahrheit das Gegenteil von wahrhaftigem Lobpreis. Denn dadurch, dass man sich selbst in Schwung bringt, erhöht man sich selbst und damit eben nicht Gott, den Heiligen.

Das Schweigen, von dem hier die Rede ist, verbietet nicht zu singen. Schon gar nicht geht es um einen Aufruf zur Mystik. Vielmehr bringt der Begriff schweigend zum Ausdruck, in welcher Weise wir vor Gott treten sollen, nämlich um ihm Lob darzubringen. Der Begriff schweigend wendet sich gegen unser Gerede, gegen unser Geschwafel und gegen unsere Ich-Zentriertheit. Damit richtet er sich ganz sicher auch gegen ohrenbetäubendes Dezibel-Gedröhn. Bevor wir Gott mit Herz und Mund überhaupt loben können, müssen wir davon erfasst sein, wer er ist und wem wir Ehre darbringen.

Dir wird das Gelübde bezahlt werden (Ps. 65,2), so heißt es weiter. In unserem Leben kann einmal etwas sehr tief Einschneidendes geschehen. Es kann ein solcher Einschnitt sein, dass wir unser gesamtes restliches Leben durch dieses Ereignis einteilen, in ein Davor und in ein Danach.

Es kann sein, dass jemand durch eine tiefe Krise gegangen ist. Zum Beispiel hat jemand von uns in großer Ausweglosigkeit zu Gott geschrien: „Gott, hilf mir!“ „Rette mich!“ „Herr, lass mich nicht los!“ Und dann, nachdem ihm auf eine wundersame Weise geholfen worden ist, geht der Betreffende nicht zur Tagesordnung über. Er vergisst nicht, dass Gott ihn aus großer Not gerettet hat, sondern er beschließt, sein Leben zu ändern und von nun an bewusst vor dem Angesicht Gottes zu leben.

Vielleicht ist heute jemand unter uns, der in einer nichtchristlichen Familie aufgewachsen ist. Doch dann passiert irgendetwas in seinem Leben. Daraufhin fasst er den Entschluss, einmal einen Gottesdienst aufzusuchen und sich zwischen die Menschen zu setzen, die Sonntag für Sonntag in der Gemeinde zusammenkommen, die den Gott der Bibel als den einzig wahren Gott bekennen und die diesen Gott als den Mittelpunkt ihres Lebens bezeugen.

Oder da ist jemand, der schon länger in die Gemeinde geht, und dann fängt er an, seinen Lebensstil zu überprüfen, und er fasst den Entschluss, von nun an das zu unterlassen, von dem er eigentlich schon längst wusste, dass es ihn in der Nachfolge des Herrn behindert. Und er macht vor Gott fest, ab jetzt dem Herrn entschieden nachzufolgen und mehr Zeit und Geld für sein Reich zu investieren.

Dir wird das Gelübde bezahlt werden. Auch diese Form des Dankens gehört unbedingt zu einem gottgemäßen Gottesdienst.

Weiter heißt es: Du erhörst Gebet (Ps. 65,3). Eigentlich steht hier: Du Hörer des Gebets. Ich denke, der Unterschied zwischen diesen beiden Übersetzungen ist deutlich: Genauso wie jemand, der einmal gestohlen hat, noch nicht unbedingt als Dieb bezeichnet werden kann, so ist derjenige, der gelegentlich einmal hört, noch kein Hörer. Aber Gott ist der Hörer. Er ist der Hörer des Gebets. Das ist einer seiner Ehren-Namen.

David sagt damit nicht, dass Gott alle unsere Bitten beantwortet. Gott erhört nicht alles, um was wir bitten. Übrigens wissen wir das nur allzu genau selbst, jedenfalls, wenn wir in einem gewissen zeitlichen Abstand uns noch einmal vergegenwärtigen, was gelaufen ist, und dann aus der Distanz einsehen, dass es sehr gut war, dass Gott mein damaliges Flehen nicht erhört hat, obwohl ich ihn doch so sehr bestürmt hatte.

Aber wie auch immer: Gott ist und bleibt der Hörer des Gebetes. Denn er ist der lebendige Gott. Im Gegensatz zu den toten Götzen und den anonymen Schicksalsmächten, die den Menschen in Aberglauben und Okkultismus stürzen, ist Gott der lebendige Gott, und er ist der Hörer derer, die zu ihm rufen.

Es kann sein, dass wir nach einem Gottesdienst zu jemandem sagen: „Weißt du, Gott erhört nicht jedes Gebet, aber er ist Hörer des Gebets.“ Dieses Zeugnis kann für den Betreffenden eine Ermutigung sein. Es kann für ihn ein Ansporn sein, erneut auf die Knie zu gehen und die Gegenwart Gottes zu suchen. Denn der Titel Hörer des Gebets heißt nicht weniger, als dass es zum Wesen des lebendigen Gottes gehört, Gebete zu hören.

Weiter lesen wir: Darum kommt alles Fleisch zu dir. Man kann auch übersetzen: Darum kommt alles, was da lebt, zu dir. Damit verkündet David nicht eine Art Allversöhnung. Noch weniger will der Psalm zum Ausdruck bringen, dass man Gott eigentlich durch jede Religion anbeten könne, weil Gott sich irgendwie überall geoffenbart habe. Das ist Unsinn. Darum geht es hier ganz und gar nicht! Vielmehr bezeugt David, dass jeder zu Gott kommen darf, und zwar egal aus welcher Nation er stammt, egal, welche Hautfarbe er hat oder welche Sprache er spricht oder was es sonst noch für Unterschiede zwischen den Menschen gibt.

Exakt dies ist die Botschaft, die Jesus einmal der samaritanischen Frau verkündete. Als sie ihm die Frage stellte, wo Gott denn angebetet werden solle, was der richtige Gottesdienst sei, antwortete der Herr ihr, dass Gott nicht auf dem Berg Gerisim (wo die Samaritaner Gottesdienst feierten) angebetet werden will, sondern in Jerusalem. Aber sogleich fuhr der Sohn Gottes fort: Aber die Stunde kommt und ist schon da, wo die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten werden (Joh. 4,23).

Paulus schreibt: Es ist kein Unterschied zwischen Juden und Griechen. Alle haben denselben Herrn, der reich ist über alle, die ihn anrufen (Röm. 10,12). An anderer Stelle schreibt er: Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1Tim. 2,4). Das Evangelium gilt nicht nur für die Juden, über die Paulus im ersten Kapitel des ersten Timotheusbriefes gesprochen hatte, sondern es gilt für alle möglichen Menschen, egal aus welchem ethnischen oder sprachlichen Hintergrund sie stammen.

Nach dieser gewaltigen Öffnung für die Menschen aus allen Völkern kommt die Aussage: Missetaten überwältigten mich, oder: Ungerechtigkeiten hatten mich überwunden. Das Kommen in die Gegenwart des heiligen Gottes ist überhaupt nicht möglich ohne die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit.

Möglicherweise denkt der eine oder der andere von uns gelegentlich: Eigentlich komme ich ja ganz gerne hierher. Aber am Anfang des Gottesdienstes höre ich dann immer wieder diese Axt des Gesetzes mit der Vorhaltung des eigenen Versagens, der eigenen Boshaftigkeit. Die Antwort darauf lautet: Ja! Das Erkennen und Bekennen der eigenen Sündhaftigkeit gehört zum Gottesdienst.

Bitte beachten wir: Der Psalmist verwendet hier die erste Person Singular: Missetaten überwältigten mich. Wenn wir am Sonntagmorgen in wahrhaftiger Weise das Angesicht Gottes suchen, ist es undenkbar, sich hinter dem breiten Rücken des Vordermanns zu verstecken oder sonst irgendwie in der Allgemeinheit unterzutauchen.

Missetaten überwältigten mich. Weißt Du von deinen Vergehen, für die du verantwortlich bist, wegen derer du schuldig bist, die dich überwältigt haben?

Wenn jemand zur Zeit des Alten Testamentes nach Zion pilgerte und dann den Tempelbereich betrat, war das Erste, was er erblickte, der Opferdienst. Das war der damalige Versöhnungsdienst. Im Vorhof brachten die Priester Opfer dar, und zwar sowohl für die eigenen Sünden als auch für die Sünden des Volkes. Dann am Versöhnungstag, dem Iom Kippur, wenn der Hohepriester in das Allerheiligste trat, nahm er das Blut eines Opfertieres mit, und er sprengte es auf den Deckel der Bundeslade.

Das Wort, das im Alten Bund für versöhnen verwendet wird, meint eigentlich bedecken. Tatsächlich konnten die Tieropfer die Sünden der Menschen nicht tilgen. Sie konnten sie lediglich zudecken. Die Beseitigung der Schuld ist erst durch das Opfer Christi möglich geworden, auf das alle Tieropfer Hinweise waren. Denn allein durch das Opfer Christi auf Golgatha werden unsere Sünden hinweggenommen. Nur im Blick auf dieses Opfer konnte Gott während der Zeit des Alten Bundes überhaupt die Sünden der Menschen dahingehen lassen. Sonst wäre es für den heiligen Gott unmöglich, zur Sünde zu schweigen (Röm. 3,25).

Aber wegen des ein für alle Mal dargebrachten Sühnopfers Christi durften wir auch heute im Gottesdienst nach dem Verlesen des Gesetzes das Evangelium von der Sündenvergebung durch Christus hören. Welch eine Gnade! Durch das Opfer auf Golgatha ist der Weg zum Vater offen.

Es ist übrigens unmöglich, dass jemand in einen Gottesdienst kommt, ohne dass er etwas von diesem Versöhnungsdienst wahrnimmt. Wenn in einer Kirche oder in einer Gemeinde das Versöhnungswerk am Kreuz in und durch Christus nicht bezeugt wird, dann befindest du dich unter Garantie in einer falschen Kirche. Eine solche „Kirche“ hat gegenüber dem Evangelium von Jesus Christus dichtgemacht. Möglicherweise meinten die verantwortlichen Gemeindeleiter gesellschaftsrelevant sein zu müssen, und sie stellten sich deswegen auf entsprechende Schein-Interessen und Schein-Bedürfnisse ein. Eventuell scheuten sie noch nicht einmal davor zurück, diesen Verrat am Evangelium als „missionarisch“ zu etikettieren. Aber überall dort, wo der Mensch mit seinen angeblichen Bedürfnissen in den Mittelpunkt gerückt wird, wird Gott und sein Heilswerk aus dem Zentrum gedrängt. Wo das geschieht, wo der Dienst der Versöhnung fehlt, täuscht man Gottesdienst nur noch vor. Allenfalls wird Gottesdienst dort nur noch simuliert.

Wenn man den Psalm 65 weiterliest, ist von Erwählung die Rede: Wohl dem, den du erwählst und zu dir nahen lässt, dass er wohne in deinen Vorhöfen (Ps. 65,5). Es kann sein, dass jemand bei dem Wort Erwählung zumacht und denkt: „Erwählung ist für mich ein schreckliches Wort, denn woher weiß ich, ob ich selbst erwählt bin, also ob ich zu den Erwählten gehöre?“

Da ist es unbedingt notwendig, diesen Vers genau zu lesen. Denn David hat hier gar nicht seine eigene Erwählung im Auge oder die unsrige. Jedenfalls nicht in erster Linie. Vielmehr geht es ihm hier um den, der von Gott dazu erwählt wurde, damit er Gott naht. Das war im Alten Bund niemand anderes als der Hohepriester Aaron. Über ihn lesen wir zum ersten Mal in der Heiligen Schrift ausdrücklich, dass Gott jemanden erwählte. Wir finden diese Aussage in 4.Mose 16.

Gott erwählte Aaron, um den Versöhnungsdienst durchführen zu lassen. Dieser Auftrag wurde von Korah und seiner Rotte in Frage gestellt. Diese Rebellen waren nicht gegen Religiosität in einem allgemeinen Sinn. Aber sie erklärten: Ihr beansprucht zu viel, denn die ganze Gemeinde, sie alle sind heilig, und der Herr ist in ihrer Mitte. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des Herrn? (4Mos. 16,3).

Mit anderen Worten: Korah, er war übrigens ein Levit, wollte nicht die Religion abschaffen. Aber ihm ging es um die Abschaffung der Priester, die für den Versöhnungsdienst verordnet waren, namentlich um die Beseitigung Aarons. Seine Devise war: Religion ja, aber Sühne nicht. Ein Versöhnungsdienst, so wie er ausführlich im dritten Buch Mose mit all den Opfern geschildert wurde, sei, so Korah und seine Rotte, überflüssig. Denn alle seien ja heilig…

Mose entgegnete diesen Aufrührern: Gott wird kundtun, wen er zu sich nahen lässt, wen er erwählt hat (4Mos. 16,4-10). Dann fügte er hinzu: In Wahrheit rottet ihr euch gegen Gott. Aaron, wer ist er, dass ihr gegen ihn murrt? (4Mos. 16,11). Das heißt: Es ging bei der Erwählung Aarons nicht um die Person Aarons. Als Person ist Aaron ziemlich egal. Es geht um sein Amt. Es geht darum, wozu er berufen worden ist, das heißt erwählt worden ist.

Bei der Auseinandersetzung zwischen Aaron und Korah ging es letztlich um die Frage: Leitet das Volk Gottes seine Heiligkeit aus sich selbst ab oder aus dem Versöhnungsdienst, für den Aaron bestimmt worden war? Bekanntlich richtete Gott Korah und seine Anhänger in einer außergewöhnlich scharfen Weise. Der Grund: Ohne Versöhnungsdienst kann das Volk Gottes nicht gegen den Zorn des heiligen Gottes beschirmt werden. Das Volk Gottes darf nur deswegen zu Gott nahen, weil Gott einen Hohepriester erwählt hat, um den Versöhnungsdienst durchzuführen.

Wenn David hier bezeugt: Wohl dem, den du erwählt hast und ihn zu dir nahen lässt, dann bringt David zum Ausdruck, dass er die Erwählung Aarons akzeptiert hat. David weiß: Nur deswegen, weil Gott den Aaron zum Hohepriester erwählt hat, kann auch ich Gott nahen. Nur in ihm ist dieses Volk ein erwähltes Volk.

Im Neuen Bund verhält es sich im Prinzip nicht anders. Da ist zunächst ein einziger, der von Gott dem Vater erwählt wurde. Über ihn bezeugt Matthäus, indem er aus dem Propheten Jesaja zitiert: Siehe, mein Knecht, den ich erwählt habe, mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat! Ich will meinen Geist auf ihn legen, und er wird den Heiden das Recht verkündigen (Mt. 12,18, vergleiche auch Luk. 23,35).

In diesem von Gott Erwählten, in Christus, sind wir erwählt. Unsere Erwählung erfolgte vor Grundlegung der Welt. Aber noch einmal: Sie war und ist in Christus geschehen (Eph. 1,4). Eine Erwählung ohne oder außerhalb von Christus führt entweder in maßlose Selbstsicherheit oder in abgrundtiefe Verzweiflung.

Im Alten Bund mussten die Menschen auf Aaron blicken, als er das Blut des Opfers in das Allerheiligste brachte. Heute schauen wir auf Christus und auf sein Blut, das er ins himmlische Heiligtum gebracht hat (Hebr. 9,23-26).

Verstehen wir jetzt, warum und inwiefern diese Spannung aufgelöst ist, von der es heißt: Wir werden uns sättigen von den Gütern deines Hauses, deines heiligen Tempels? Der Grund ist das Versöhnungswerk Christi, des von Gott Erwählten. Wegen ihm, wegen Jesus Christus, fließt sein Heil in diese Schöpfung.

Aufgrund des Versöhnungswerkes Gottes erweist sich Gott

2. als der machtvoll rettende Gott (Ps. 65,6-9)

Einmal angenommen, wir hätten diesen Psalm verfasst. Vermutlich wären wir nun gleich zum Thema der Ernte gekommen. Denn darin, so würden wir sagen, zeige sich doch der Segen, der aus dem Versöhnungswerk Gottes in Christus fließt. Aber dann hätten wir die Sündhaftigkeit und den tiefen Fall, in den diese Welt nach dem Sündenfall gestürzt ist, nicht bedacht.

Gottes Segen zeigt sich in dieser Welt nicht in einer Idylle. Im Grunde gehen die folgenden Verse gegen eine solche Auffassung vor. Gott erweist sich im Blick auf diese Welt zunächst nämlich nicht als der gefällige Gott. Vielmehr führt er uns erst einmal vor Augen, dass er in dieser wahrlich nicht beschaulichen Welt die Seinen durch Gericht rettet: Du wirst uns antworten durch furchtgebietende Taten in Gerechtigkeit (Ps. 65,6). Gott ist der Gott, der aufgrund seines Versöhnungswerkes uns in den Schrecklichkeiten dieser Welt als Retter begegnet.

Der Reformator Johannes Calvin formulierte diese Wahrheit folgendermaßen „Gott hat unser Leben nicht allein so in der Hand, dass er es immer behütet, sondern auch so, dass er es dahinsiechen lässt, sodass es aussieht, als hätten wir den Tod vor Augen oder, wie man sagt, zwischen den Zähnen, uns aber dennoch weiter behütet. Und wenn wir auch fallen und niedergeschlagen sind, so erhebt er uns wieder. Er macht uns stark, aber nur von einem Tag zum andern – damit wir umso mehr von ihm abhängig bleiben.“

Eine romantische Idylle, etwa eine Ernte-Idylle ist kein biblisches Thema. Es ist das Motiv von Malern einer Traumwelt. Gott dagegen offenbart sich in dieser Welt anders. Er zeigt sich in seiner Schöpfermacht: der du die Berge gründest in deiner Kraft, der du mit Macht umgürtet bist (Ps. 65,7). Seine Macht erweist sich im Chaos der Welt, das heißt inmitten der Stürme und der Orkane, die Gott dann, wenn es ihm gefällt, auch wieder zur Ruhe bringt. Denn Gott ist der, der das Brausen der Meere, das Brausen ihrer Wellen und das Toben der Völker stillt (Ps. 65,8). David vergleicht hier die tobenden Wasser mit den im Aufruhr sich befindenden Nationen. So spricht er in einem einzigen Atemzug vom Brausen der Wellen und vom Toben der Völker.

Schauen wir uns um: Wer bekommt kein beklemmendes Gefühl, wenn er von den immer wieder auftretenden Erdbeben und sonstigen Naturkatastrophen hört? Wer erschrickt nicht im Blick auf das Toben der Nationen: Russland gegen die Ukraine, das Terrorregime des Islamischen Staates im Mittleren Osten usw.

Aber hier heißt es dazu: der du das Toben der Völker stillst. Bitte nimm zur Kenntnis: Gott ist im Regiment. Auch dies sind seine Signale, seine Wunderzeichen (Ps. 65,9), sodass dann einmal ganz plötzlich ein Gewaltregime zusammenbricht, von einem Tag auf den anderen, und die Menschen wieder durchatmen können.

Durch die Versöhnung in Christus verschafft Gott den Seinen in dieser Welt keine Idylle. Aber gerade im Sturm bezeugt er, dass er regiert. Christus sitzt auf seinem Thron, und er wartet bis alle Feinde gelegt sind zum Schemel seiner Füße. Das ist Ausdruck seiner Souveränität. Aber in der Jetztzeit vernichtet er seine Feinde noch nicht, obwohl er es könnte, sondern er übt seine Herrschaft aus inmitten [!] seiner Feinde (Ps. 110,2).

Wenn wir das erfasst haben, dann dürfen wir auch erkennen, dass aufgrund des Versöhnungswerkes Gott sich erweist

3. als der ewig-reiche und der überfließend schenkende Gott (Ps. 65,10-14)

Angesichts der tosenden Wasserfluten vergisst David nicht, dass das Wasser, das er eben gerade mit dem Chaos und den Turbulenzen in Verbindung brachte, auch Segen bedeutet: Somit ist das Vorrangige, worin die Fürsorge Gottes für das Land zum Ausdruck kommt, das Wasser: Du suchst das Land (Erde) heim und bewässerst es, und machst es sehr reich. Der Strom Gottes hat Wasser in Fülle. Du lässt ihr Getreide gut geraten, denn so bereitest du das Land zu. Du tränkst seine Furchen, feuchtest seine Schollen. Mit Regenschauern machst du es weich und segnest sein Gewächs (Ps. 65,10.11).

Wir leben in einer Region, die ausreichend Wasser zur Verfügung hat. Von daher können wir kaum ermessen, was es heißt, in einer Gegend zu wohnen, in der Dürre der Normalfall ist: Durch die Sommerglut vertrocknen Erdkrusten und werden unter der brennenden Sonne zu steinharten Brocken. Wenn der Früh- und der Spätregen ausbleiben würden (3Mos. 26,3-5; 5Mos. 28.2.12), würden die Samenkörner unter den festen Erdklumpen verdorren (Joel 1,17), und dann würde die Bevölkerung verhungern. Wie wichtig ist der Regen!

Indem David in diesem Zusammenhang von dem Strom (oder: Bach) Gottes spricht, der Wasser die Fülle hat (Ps. 65,10), mag es sein, dass er an den Strom Gottes denkt, der einst den Garten Eden bewässerte (1Mos. 2,10). Insofern wäre dann jede Ernte eine Erinnerung an den Garten Eden.

Aber wichtiger ist: Der Regen ist hier nicht eine anonyme Gegebenheit der Natur, sondern er ist Segen Gottes: Du lässt das Getreide gut geraten, du bereitest das Land zu, du tränkst seine Furchen und du feuchtest seine Schollen. Mit Regenschauern machst du das Land weich (Ps. 65,10.11).

Die Naturabläufe, zu denen auch die Ernten gehören, sind nicht bloßes Resultat einer Kausalität. Eine solche Betrachtungsweise erscheint uns heute „wissenschaftlich“. Aber sie ist nicht biblisch. Was uns hier deutlich gemacht wird, ist Folgendes: Was in der Schöpfung geschieht, namentlich in der Ernte, ist Handeln Gottes. David fasst das zusammen in dem Bekenntnis: Du krönst das Jahr mit deiner Güte. Deine Fußstapfen triefen von Fett (Ps. 65,12).

Haben wir das verstanden? Auch in der diesjährigen Ernte zeigen sich wieder die Fußspuren Gottes in dieser Welt. Der uns umgebende Säkularismus gibt sich außerordentlich große Mühe, uns glauben zu machen, dass diese Welt losgelöst von Gott verstehbar sei. Das Wort Gottes bezeugt etwas völlig anderes: Wir dürfen in der Ernte die Fährten des ewig-reichen Gottes sehen. Ernte ist Zeugnis seines überreichen, gnädigen Handelns.

Wenn wir nun durch die Lande fahren und die Äcker erblicken, dürfen wir diese Welt so verstehen, wie Gott sie verstanden wissen möchte: Du krönst das Jahr mit deiner Güte. Es triefen die Auen in der Steppe, mit Jubel gürten sich die Hügel. Die Weiden kleiden sich mit Schafen, die Täler bedecken sich mit Korn, sie jauchzen, ja, sie singen (Ps. 65,12-14).

Darauf kann als einzige Reaktion von uns nur sein, in diesen Dank miteinzustimmen. Darum ist es angemessen, bei jedem Bissen Brot, den wir essen, und bei jedem Wasserschluck, den wir trinken, Gott für seine Freundlichkeit Lob darzubringen, dem Gott, der uns sättigt von den Gütern seines Hauses, aus seinem heiligen Tempel: Oder lassen Sie es uns neutestamentlich formulieren: der uns segnet mit dem, was aus dem vollbrachten Versöhnungswerk in Christus fließt.

Amen.


[1]) Diese Predigt wurde im Oktober 2014 zum Erntedankfest gehalten, in der Bekennenden Evangelisch-Reformierten Gemeinde in Gießen (www.berg-giessen.de). Bitte lesen sie vorher in einer guten Übersetzung den Psalm 65, und wenn es Ihnen möglich ist, schlagen Sie bitte auch die jeweils eingefügten Bibelstellen in Ihrer eigenen Bibel nach.