Der Gottesdienst-Konsumenten-Test

Der Gottesdienst-Konsumenten-Test

Wenn der Kompass falsch ausgerichtet ist

Mit Karte und Kompass ausgerüstet zogen wir am Samstagnachmittag los. Mein Vater wollte uns Kindern zeigen, wie man sich im Gelände mit diesen beiden Hilfsmitteln orientiert. Zuerst erklärte er uns, dass die Kompassnadel stets nach Norden zeigt und man die Karte entsprechend ausrichten kann. Dann blickte er uns eindringlich an und sagte: „Stellt euch vor, wenn dieser Magnetismus gestört wäre.“ Ja, was wäre dann? Wir würden die Karte verkehrt ausrichten und in die falsche Richtung gehen.

Eben diese Gefahr droht der Gemeinde Jesu zu jeder Zeit. Der Heilige Geist richtet unseren inneren Kompass auf Christus aus. Er leitet uns an, die göttliche Landkarte, die Heilige Schrift, richtig zu lesen. Diese Ausrichtung droht nun gestört zu werden. Weshalb? Weil ein konkurrierendes starkes „Magnetfeld“ existiert.

Johann Gottfried Herder (1744-1803) prägte erstmals den Begriff „Zeitgeist“ für die Denk- und Fühlweisen einer Zeit. Der Apostel Johannes warnt davor, dass die Welt im Bösen liegt (1Joh. 5,19), weil Satan der Fürst dieser Welt ist (Joh. 12,31). Mit Welt ist hier das von Gott losgelöste Denk- und Wertesystem gemeint. Machen wir uns nichts vor: Das Denksystem unserer Umgebung beeinflusst auch die heutige Gemeinde.

Die Frage lautet: Wie gewinnen wir Einsicht in die Zeiten (vergleiche 1Chr. 12,33)? Ein geübter „Kartenleser“ stellt die Antworten auf zentrale Fragen, die die Gesellschaft gibt, denen der Bibel gegenüber. In diesem Beitrag stelle ich die Verbindung von der zeitgenössischen Antwort mit der Art des Gottesdienstes her. Ich bin nämlich davon überzeugt, dass der Gottesdienst als das Zusammenkommen der Gemeinde (vergleiche 1Kor. 11,18; 14,26) das Kernstück des Gemeindelebens darstellt. Wie spiegeln sich nun die heutigen Auffassungen dessen, was den Menschen ausmacht, in den Gottesdiensten einer Gemeinde wider? Dies allein festzustellen reicht nicht aus. Wir fragen darum gleichzeitig, wie die biblische Alternative dazu aussieht.

1. Eine verzerrte Doppelbotschaft

Der US-amerikanische Bibellehrer R.C. Sproul schrieb darüber, dass in vielen Sonntagsschulen (Kindergottesdiensten) den Kindern zwei Kernbotschaften vermittelt würden. Erstens erschallt der optimistische Ausruf „Du bist genial!“ Dann folgt die Aufforderung „Sei nett!“. Im Refrain eines Kinderliedes kommt die optimistische Einschätzung des Menschen zum Tragen: „Du bist ein Mensch nach Gottes Phantasie, du bist genial.“ Solche Lieder rahmen die Botschaften ein, die da lauten: Lerne gut zuzuhören, werde ein besserer Freund, sei anständig zu deinen Eltern und entfalte dein Potenzial in der Schule. Es geht zusammengefasst um Persönlichkeitsentwicklung. Dieselbe Botschaft ist auch in vielen Gottesdiensten zu hören.

Ich sage nicht, dass diese doppelte Nachricht gänzlich falsch ist. Der Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen und durch diesen Bezug mit Würde ausgestattet. Dies darf jedoch von der zweiten Botschaft nicht isoliert werden: Der Mensch ist in Sünde gefallen und darum unendlich weit entfernt davon, „genial“ zu sein. Er bildet es sich aber oft in seinem Stolz ein.

Im Kleinen Kinderkatechismus, den ich mit meiner Familie durcharbeite, stehen mehrere Fragen zur Sündenerkenntnis. Der Heilige Geist deckt Sünde auf, bewirkt, dass wir die Sünde hassen und wirkt in uns den Wunsch, von ihr zu lassen, also sie nicht mehr zu tun. Dieser Heiligungsprozess wird jedoch erst in einem durch Wiedergeburt und Bekehrung erneuerten Menschen möglich.

2. Die Daumen-rauf-oder-runter-Mentalität

Einmal in der Woche hören wir der Predigt zu. Nach dem Gottesdienst fragen wir uns gegenseitig: War die Predigt gut? Mit dem Prädikat „gut“ meinen wir: War sie unterhaltsam, oder war sie langweilig? Die gleiche Frage stellen wir im Kino, im Zirkus oder vor dem Fernseher.

Thabiti Anyabwile, Pastor und Buchautor, bringt einen anschaulichen Vergleich. Als Gottesdienstbesucher benehmen wir uns oft wie die Zuschauer eines Turmspring-Wettbewerbs. Wir freuen uns an spektakulären Sprüngen und darüber, dass das Wasser hoch spritzt. Wenn die Schiedsrichter das Gleiche tun würden, hätten sie ihre Kriterien für einen guten Sprung komplett verfehlt. Ebenso daneben ist es, im „Konsumenten-Modus“ die Predigt mit einer Daumen-rauf-oder-runter-Mentalität zu beurteilen. Wesentlich entscheidender ist nämlich die Frage: Entsprach die Predigt der Aussage des zugrunde gelegten Abschnitts aus der Heiligen Schrift? Wenn diese Frage mit „ja“ beantwortet wird, dann gilt es, die Botschaft vor Gott zu erwägen und ihn um Gehorsam zu bitten, diese im eigenen Leben anzuwenden.

Allerdings kann diese Frage leider oftmals gar nicht beantwortet werden, weil die Rückfrage lauten würde: „Welcher Bibeltext eigentlich?“ Manche Predigten sind so gestaltet, dass sie die eigene Botschaft des Redners mit einigen Bibelversen unterlegen.

3. Das Kriterium der Gleichaltrigen

Ein weiteres Kriterium für die Güte eines Gottesdienstes betrifft die Frage, ob genügend Menschen in der gleichen Altersgruppe anwesend waren. Wenn wir dieser Frage einen hohen Stellenwert einräumen, haben wir uns unbewusst dem Diktat der Zielgruppensegmentierung gebeugt. Die Moderne hat uns eingeredet, dass der Konsument in den Interessen seines Alters „abgeholt“ werden müsse. Dies geht jedoch völlig an der „DNA“ der Gemeinde Christi vorbei. Alter, Geschlecht, soziale Schicht und Volkszugehörigkeit spielen keine vorrangige Rolle!

Damit will ich nicht sagen, dass die Beantwortung dieser Frage völlig belanglos ist. Auf jeden Fall aber verhält es sich so, dass alte und junge Frauen, alte und junge Männer in der Gemeinde einander dienen sollten (siehe Titus 2). Wo ein Teil fehlt, fehlt der Gemeinde Wesentliches.

4. Stimmiger Lobpreis

Wie oft habe ich schon die Aussage gehört: „Der Lobpreis spricht mich nicht an.“ In diesem Vorwurf spiegelt sich eine Grundhaltung wider. Diese lautet: Die Gefühle entscheiden über den Mehrwert einer Veranstaltung.

Auch hier müssen wir umdenken. Nicht Rhythmus, Melodie oder erhebende Stimmung sind entscheidend. Im Vordergrund steht die Frage: Welche Botschaften sprechen wir in den Liedern nach? Ist Gott das Zentrum, oder steht der Mensch mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt?

5. Der Sonntag als Teil unserer Freizeitplanung

Wer über eine prall gefüllte Agenda verfügt, hat gut Lachen. Vorhandene Terminlücken füllen wir darum mit Unterhaltung, manchmal sogar mit Betäubung. Der Sonntag muss zunehmend für das Freizeitprogramm herhalten. So hat sich die Leitfrage umgedreht. Nicht mehr die Frage, wie wir den Tag für den Herrn heilig halten können, ist bestimmend, sondern ob der Gottesdienst als Element in unsere Aktivitätenplanung hineinpasst.

6. Der Gottesdienst als Tankstelle

Das Bild ist nicht neu. Mit der Verstädterung und der Mobilität hat sich das Problem zugespitzt: Benutzen wir den Gottesdienst – im Bild gesprochen – als „Drive in-Station“? Anders ausgedrückt: Wir beziehen eine Dienstleistung und verschwinden ziemlich schnell wieder von der Bildfläche.

Auch wenn diese Aussage etwas übertrieben sein mag, erhebt sich trotzdem die Frage: Gehen wir zur Gemeinde, um für uns gegenseitig zu sorgen? Heute scheint eher das Motto zu herrschen: Niemand soll sich in meine privaten Probleme einmischen. Wenn ich ein Problem habe, gehe ich damit zum Spezialisten, sprich zum Therapeuten. Wieder war es Thabiti Anyabwile, der mich über eine Frage zum Nachdenken brachte. Er begann bei Gesprächen mit Gemeindegliedern auf folgende Weise unter die Oberfläche zu gehen: Mit welcher Sünde kämpfst du zurzeit am meisten?

7. Gründe für den Gemeindewechsel

„Die Gefühle waren weg.“ Mit dieser einfachen Begründung trat mir ein Mann entgegen, der sich von seiner Freundin getrennt hatte. Damit wollte er sagen: „Ich brauchte wieder mal eine Abwechslung bzw. frischen Wind.“ Begründungen für einen Gemeindewechsel klingen oft ähnlich: Die Predigt ist zu fade, der Gesang zu eintönig, der Altersmix nicht mehr passend. Zwischendurch ertönt schon mal der Vorwurf: „Ich muss mir doch von denen nichts sagen lassen!“

Wie wäre es mit einer Prüfung anhand der Kennzeichen einer schriftgemäßen Gemeinde, wie sie beispielsweise das Niederländische Glaubensbekenntnis in Artikel 29 auf den Punkt bringt: Wird das Evangelium rein verkündigt? Werden die Sakramente lauter verwaltet? Wird Kirchenzucht zur Besserung der Fehler geübt? Ich vermute, dass unsere Bewertung danach anders ausfallen müsste.

Zusammenfassung

Die unten stehende Aufzählung soll als Hilfestellung für eine persönliche und gemeinsame Standortbestimmung dienen.

 

Kriterium Symptome Biblische Alternative
Menschenbild Optimismus: Du bist genial!

Moralismus: Sei nett!

Die Sünde hassen, die neue Identität als gerecht gesprochener Mensch erfassen, nach Heiligung streben.
Unterhaltungswert Es war spannend.

Es war langweilig.

Entsprach die Aussage der Predigt der Aussage des Bibelabschnittes? (Welcher Text?)
Zielgruppensegmentierung Es gibt wenige Leute in meinem Alter. Wir treten als Gemeinschaft begnadigter Sünde unabhängig von Geschlecht, Alter und Volkszugehörigkeit vor Gott.
Gefühle als Prüfkriterium Der Lobpreis spricht meine Gefühle nicht an. Gott ist das Subjekt unserer Lieder, die Inhalte spiegeln biblische Theologie wider.
Freizeitplanung Ich gehe dann in den Gottesdienst, wenn es ins Tages- und Wochenprogramm passt. Jeder siebte Tag gehört Gott, um ihm und den Nächsten zu dienen.
Tankstelle Gottesdienst Nach dem Gottesdienst verschwinde ich schnell. Die Gemeinde ist der erste Ort für gegenseitige Fürsorge.

Mit welcher Sünde kämpfe ich zurzeit am meisten?

Gemeindewechsel Ich fühle mich (nicht) wohl. Reine Predigt des Evangeliums, lautere Verwaltung der Sakramente nach der Einsetzung Christi, Kirchenzucht zur Besserung der Fehler (Niederländisches Bekenntnis, Artikel 29).