Wortverkündigung aus Jona 4: Ninive missionieren

Wortverkündigung aus Jona 4: Ninive missionieren

Einleitung

Das Buch Jona endet unerwartet. Als Leser werden wir, so hat es den Eindruck, mitten im Geschehen hängen gelassen. Viele unserer Fragen scheinen unbeantwortet zu bleiben. Wurde Jona jemals mit Gott versöhnt? Hat Jona jemals damit aufgehört, auf Gott wütend zu sein? Und was ist eigentlich mit der Stadt Ninive passiert? Es hat den Anschein, als wäre dieses Buch nicht wirklich zum Abschluss gekommen. Aber gerade dieses offene Ende hat der Heilige Geist gegeben, um bei uns Fragen zu erzeugen.

Die Geschichte über Jona, den unwilligen Propheten, hat in diesem Punkt einige Ähnlichkeit mit den Gleichnissen Jesu im Neuen Testament. Das Buch Jona ist keine systematische Darlegung eines Themas, wie es zum Beispiel der Römerbrief ist. Vielmehr fungiert es wie ein Spiegel für die Zuhörer. Ähnlich verhält es sich bei mehreren Gleichnissen. Jesus hält damit seinen Hörern einen Spiegel vor – man denke zum Beispiel an das Gleichnis der beiden verlorenen Söhne (Luk. 15,11-32).

Entsprechend fordert uns die Geschichte von Jona durch ihr offenes Ende heraus, Stellung zu beziehen. Das Leben des Jona, dieses unwilligen Propheten, richtet an uns die Frage: Wie viel Jona steckt in jedem von uns? Wenn wir heute als Christen das Wort Gottes verkündigen, haben wir dann vielleicht ein ähnliches Problem, wie es Jona hatte? Werden auch wir unwillig, weil uns die wahre Freude darüber mangelt, wer Gott in Wahrheit ist und was Gott tut? Stehen auch wir vor dem Problem, dass wir uns nicht über die gnädigen Taten Gottes freuen, sondern mit Wut und Unbehagen erfüllt sind, wenn Gott wieder einmal anders handelt, als wir uns das vorgestellt oder gewünscht haben?

Der Prophet Jona hatte ein grundlegendes Problem. Er hatte zwar eine so genannte bibeltreue Theologie, ihm fehlte aber die richtige Herzenseinstellung. Jona bekannte die Realität von Gottes Gnade und seiner Güte, aber er vertraute nicht diesen Segnungen. Jona richtete sein Herz nicht an dem aus, was er von Gott erkannt hatte. Das Gegenteil war der Fall: Er entschied sich dafür, sich seinen eigensüchtigen Emotionen hinzugeben.

Gott hatte Jona nicht wegen Jona berufen, in Ninive zu predigen. Gott hatte Jona berufen, weil Gott selbst gnädig und barmherzig ist. Jona aber blickte nur darauf, was er selbst für richtig hielt. So freute er sich nicht darüber, was Gott wollte und wie Gott ist.

Genau darin fordern uns die im Buch berichteten Ereignisse über den unwilligen Propheten heraus. Wenn wir das Evangelium von der Gnade Gottes bekennen und verkündigen, dann darf unsere Mission nicht davon abhängig sein, wer wir sind oder was wir für Absichten verfolgen. Der Bericht über Jona zeigt uns, worum es bei Mission und Verkündigung tatsächlich gehen soll. Die Frage, wer Gott ist und was Gott will, muss unsere Verkündigung des Evangeliums an unsere Familie, Freunde, Kollegen und Nachbarn uneingeschränkt bestimmen.

Eine solche Verkündigung ist nicht einfach. Gerade deswegen benötigen wir die Wahrheiten des Evangeliums darüber, wer Gott ist und was Gott tut, um dadurch fest zu bleiben, das Evangelium treu zu verkündigen. Es sind diese Wahrheiten, die unserer Herzenshaltung die richtige Ausrichtung geben sollen.

In dem Abschnitt, um den es geht, sehen wir drei solcher Wahrheiten. Sie mögen uns bestimmen, das Evangelium auch dann zu verkündigen, wenn es an einen Ort wie Ninive geht, einen der gottlosesten Orte der damaligen Zeit. Die Predigt ist gegliedert in die folgenden drei Wahrheiten: Ninive missionieren, 1. …weil Gnade unverdient ist (Jon. 4,1-3); 2. …weil es nicht um uns geht (Jon. 4,4-9); 3. …weil Gott barmherzig ist (Jon. 4,10.11).

  1. … weil Gnade unverdient ist (Jon. 4,1-3)

Bevor wir zur Auslegung dieses Abschnitts kommen, möchte ich einige generelle Dinge zum Buch Jona anmerken. In diesem Buch geht es ganz zentral um die Kraft der Barmherzigkeit Gottes und um seine Gnade. Das Buch ist ein Bericht darüber, wie Menschen die Gnade Gottes empfangen haben. Es sind Menschen, von denen wir eigentlich niemals erwarten würden, dass ausgerechnet sie Empfänger dieser Gnade werden können.

Jona, der von Gott dazu berufen wurde, Menschen in diese Gnade hineinzurufen, hatte dies ebenfalls nicht erwartet. Gott hatte Jona erwählt, in die große Stadt Ninive zu gehen und den dort lebenden Menschen einen Dienst zu erweisen. Allerdings war Jona von Gottes Auftrag keineswegs begeistert. Deshalb floh er vor Gott und vor seiner Berufung.

Im Verlauf des gesamten Buches sehen wir dann, wie Gott Jona und den Menschen, mit denen Jona auf seiner Flucht Kontakt hatte, hinterhereilte. Der gesamte Bericht erweckt den Eindruck, als würde den Propheten alles, was ihm im Verlauf dieser Ereignisse widerfuhr, laut anschreien: „Jona, verstehst du nicht? Du kannst Gottes Barmherzigkeit an dir selbst und an Ninive nicht aufhalten!“

Jona wurde somit selbst ein Empfänger von Gottes Barmherzigkeit, nachdem er von einem Fisch verschluckt worden war, dann zu Gott um Hilfe schrie und schließlich von Gott errettet wurde. Schlussendlich kam Jona dann doch nach Ninive. Er predigte der gesamten Stadt, und die ganze Stadt kehrte von ihren Sünden um.

Das ist der Punkt, mit dem der Abschnitt, der der Wortverkündigung zugrunde liegt, einsetzt. Gott sah die Umkehr der Stadt, und so wurde das Gericht über Ninive aufgehalten. Wir stellen aber auch fest, dass Jona sich nicht geändert hatte. Er konnte seinen Auftrag noch immer nicht leiden.

Lesen wir noch einmal Jona 4,1-3: Das aber missfiel Jona sehr, und er wurde zornig. Und [Jona] betete zum Herrn und sprach: Ach, Herr, ist’s nicht das, was ich mir sagte, als ich noch in meinem Land war, dem ich auch durch die Flucht nach Tarsis zuvorkommen wollte? Denn ich wusste, dass du ein gnädiger und barmherziger Gott bist, langmütig und von großer Gnade, und das Unheil reut dich! Und nun, Herr, nimm doch meine Seele von mir; denn es ist besser, ich sterbe, als dass ich lebe! Wirklich, Jona? Du hattest doch gerade den größten Erfolg erzielt, den man als Prediger sich nur vorstellen kann: Du hast die ganze Stadt bekehrt mit einer nur acht Worte langen Predigt!

Aber Jona war ganz und gar nicht glücklich. Was war geschehen? Jonas Gebet (Jon. 4,2.3) gibt uns einige Antworten auf diese Frage. Jona hatte offensichtlich ein großes Problem mit der Gnade Gottes. Das war der Grund, warum er, gleich nachdem das Wort Gottes zu ihm geschah, vor seiner Berufung geflohen war. Jona konnte nämlich den Gedanken nicht ausstehen, dass Gott gegenüber der Hauptstadt der Assyrer Gnade zeigen könnte. Das ging so weit, dass er Gott seine Gnade sogar zum Vorwurf machte und mit diesem Vorwurf seinen Ungehorsam zu rechtfertigen suchte. Jona war sich sicher, dass er besser als Gott wusste, was die Stadt Ninive verdiente: nichts anderes als das Gericht Gottes.

Dazu müssen wir verstehen: Jona hatte nicht generell ein Problem mit der Gnade Gottes. Jona hatte ja selbst die Gnade Gottes erfahren. Er hatte sie empfangen, nachdem er von einem Fisch verschluckt worden war und drei Tage in dessen Bauch zugebracht hatte. Jona hatte Gottes Barmherzigkeit dankend angenommen, als er selbst aus dem Gericht, das er verdient hatte, gerettet worden war.

Während er im Bauch des großen Fisches war, hatte Jona furchtbare Angst, er könne dort elend sterben. Darum flehte er Gott um Gnade an. Er empfing auch diese Gnade, und er wurde schließlich aus dem Bauch des Fisches gerettet. Jona dankte Gott dafür. Das lesen wir im 2. Kapitel des Propheten Jona. Dort pries Jona Gottes Gnade für ihn in vollen Zügen.

Jona war also keineswegs generell sauer, weil Gott gnädig ist. Jona war sauer, weil Gott sich auch gegenüber Ninive gnädig zeigte. Als es um ihn selbst ging, hatte Jona Gottes Gnade mit offenen Armen aufgenommen. Im Blick auf Ninive aber wurde Jona erbost bis an den Tod, weil Gott an der assyrischen Metropole in ähnlicher Weise gnädig sein wollte.

Damit macht Jona seine Überzeugung offenkundig, er habe Gottes Gnade mehr verdient als die Menschen in Ninive. Mit anderen Worten: Jona war gesetzlich. Er maß die Realität mit zweierlei Maß. Er war so besessen von den Übeln der Stadt Ninive, dass er nicht erkannte, dass er die Gnade Gottes genauso sehr benötigte wie die Niniviten.

Im Neuen Testament erzählt Jesus ein Gleichnis. Dieses Gleichnis beschreibt, wie Jona sich hier verhielt. In Matthäus 18 lesen wir von einem Mann, der dem König zehntausend Talente schuldete. Dieser Mann flehte den König an, ihn nicht in das Schuldgefängnis zu werfen. Der König hörte ihn an, er war gnädig, und er erließ diesem Bittsteller seine gesamte Schuld. Aber als nun eben dieser selbe Mann noch am gleichen Tag einen weiteren Mann traf, der ihm einen wesentlich geringeren Geldbetrag seinerseits schuldete, verhielt er sich ganz und gar nicht gnädig zu ihm. Er ließ seinen Schuldner ins Gefängnis werfen.

Die Geschichte endet damit, dass der Mann, der zunächst seine Schuld erlassen bekommen hatte und dann seinem Schuldner keine Gnade zeigte, zurück zum König zitiert wurde. Der König sagte zu ihm: Du böser Knecht! Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest. Hättest du dich da nicht auch erbarmen sollen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis er alles bezahlt hätte, was er schuldig war (Mt. 18,32-34).

Genau wie der Mann aus dem Gleichnis, so hatte Jona bereits in dem Moment, als er in Ninive eintraf, vergessen, dass auch er um Gottes Gnade gebettelt hatte. Er hatte vergessen, dass auch er auf das Erbarmen Gottes angewiesen ist. Sein Stolz machte es ihm unmöglich, die Güte der Barmherzigkeit Gottes zu sehen. Diese Gesetzlichkeit nahm Jona jegliche Motivation, die Niniviten zu missionieren und ihnen das Evangelium zu verkündigen.

Sind wir uns darüber im Klaren, dass wir selbst Empfänger der Gnade Gottes sind, wenn wir anderen das Evangelium verkünden? Oder haben wir die gleichen Tendenzen wie Jona? Freuen wir uns wirklich stets darüber, wenn Gott vergibt und Gottes Gnade einer bestimmten Gruppe von Menschen gewährt wird? Paul David Tripp stellte einmal die Frage: „Wen würden wir lieber gerichtet als begnadigt sehen?“

Vielleicht gibt es diesen einen Kerl an unserem Arbeitsplatz, mit dem wir Streit in der Vergangenheit hatten. Wir würden unsere Kollegen wirklich gerne in die Gemeinde einladen oder ihnen das Evangelium predigen. Aber mit diesem besagten Kerl wollen wir eigentlich nicht reden, zumal er in der Vergangenheit echt gemein zu uns war. Wie Jona bei den Niniviten würden wir diesem Mann das Evangelium von Gottes Gnade vorenthalten, weil wir nicht bereit sind zu vergeben.

Vielleicht denken wir, dass es eine bestimmte Gruppe von Menschen gibt, die unsere Aufmerksamkeit nicht so sehr verdient hat wie eine andere Gruppe. Vielleicht meinen wir sogar, dass diese Gruppe die Gnade Gottes nicht so sehr verdient hat wie andere Menschen. Zum Beispiel wollen wir häufig nicht, dass die wirklich schlimmen und bösen Menschen Gottes Gnade empfangen. Lieben wir unsere Feinde wirklich so sehr, dass wir wünschen, dass sie an derselben Gnade Anteil bekommen, die wir jetzt schon genießen dürfen? Ist unser Verlangen nach Versöhnung stärker als unser Verlangen nach Vergeltung oder Rache? Sind wir glücklich über Gottes Gnade, egal wen sie erreicht?

An dieser Stelle wollen wir uns daran erinnern, dass in der Vergangenheit Christen immer wieder dafür bekannt waren, dass sie die Verheißungen des Evangeliums gerade denen verkündigten, von denen sie zuvor verfolgt worden waren. Nehmen wir zum Beispiel St. Patrick, den Missionar Irlands. Er wurde in jungem Alter in Irland gefangen genommen und dort zum Sklaven gemacht. Später, nach seiner Befreiung, ging er zurück auf die Insel und predigte dort das Evangelium. Und auch heutzutage verhält es sich so, dass nicht wenige Nordkoreaner, die aus dieser furchtbaren Diktatur geflohen waren und in Südkorea Christen wurden, nach Nordkorea zurückgegangen sind, um dort das Evangelium weiterzusagen, obwohl in Nordkorea die Christen in Konzentrationslager verschleppt und getötet werden.

Um unsere eigene Gesetzlichkeit wirklich heilen zu können, wollen wir anerkennen, dass wir im Evangelium die unverdiente Gnade empfangen haben. Um unsere Feinde so lieben zu können, dass wir uns wünschen, dass auch sie an derselben Gnade Anteil bekommen, die wir empfangen haben, wollen wir vorbehaltlos eingestehen, dass wir ebenfalls nichts anderes vor Gott sind als Bettler, die auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen sind. Unsere Mission und Verkündigung muss durch unser Verständnis von der unverdienten Gnade Gottes getragen sein.

Jona war sauer, weil er meinte, er hätte Gottes Errettung mehr verdient als die Niniviten. Das Evangelium zeigt uns jedoch, dass wir das Gleiche verdienen, was die Niniviten verdient haben: das Gericht Gottes. Hätte Jona wirklich verstanden, was er in seinem ersten Gebet gebetet hatte, dann wäre seine Wut zur Freude geworden. Wie ich zu Beginn gesagt habe: Jona hat seine falsche Herzenshaltung mit seiner Theologie vermischt. Genau wie Jona müssen auch wir davon geheilt werden, dass wir erbost reagieren, wenn Gott gnädig ist. Aber Jona war zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um dies zu erkennen. Das bringt uns zum zweiten Punkt der Predigt:

  1. …weil es nicht um uns geht (Jon. 4,4-9)

Der zweite Teil dieses Berichts zeigt uns einen Jona, der ganz allein sein wollte. Wir sehen einen Jona, der über seine Wut in Selbstmitleid versank. Wir sehen aber auch, dass Gott den Zorn Jonas ansprach. Er fragte ihn zweimal: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? (Jon. 4,4.9). Außerdem wirkte Gott in der Natur, um Jona und uns erkennen zu lassen, dass es nur eine einzige Antwort auf diese Frage geben kann: Natürlich hat niemand ein Recht, darüber zu zürnen, dass Gott in Übereinstimmung mit seiner Barmherzigkeit handelt.

In seinem Ärger verließ Jona die Stadt und setzte sich östlich von ihr nieder, wo er zunächst von der heißen Sonne des Mittleren Ostens geplagt wurde. Und später kam dann noch ein heißer Wind hinzu. Dann begann Gott noch weiter in die Natur einzugreifen. Er erschuf eine Pflanze, die Jona vor der Hitze schützen sollte, und Jona freute sich darüber.

An dieser Stelle sollten wir aufmerken, denn es ist die einzige Stelle innerhalb des gesamten Buches, an der wir lesen, dass Jona sich freute. Jona freute sich nicht, als er von Gott berufen wurde. Er freute sich nicht, als er vom Tod im Bauch des Fisches errettet wurde. Er freute sich nicht, als die gesamte Stadt Ninive gerettet wurde, und er freute sich auch nicht, als er von Gottes Gnade sprach. Eigentlich verabscheute er das alles. Jona freute sich ausschließlich über einen Baum, der ihm ein wenig Schatten spendete. Ich denke, an diesem Punkt erkennen wir alle: Bei Jona war etwas ganz arg schief gelaufen.

Jona gab sich seinen gottlosen Stimmungen hin. Er orientierte sich nicht an dem, was er über Gott wusste. Er lebte im Hier und Jetzt, und er ließ sich von dem bestimmen, was ihn gerade in diesem Moment beschäftigte. Dies wird noch ersichtlicher, wenn ferner davon berichtet wird, dass Gott den Baum auch wieder durch einen Wurm zerstörte. Denn daraufhin wurde Jona wieder außerordentlich böse und wütend.

Man kann eigentlich nicht anders, als an dieser Stelle über Jona den Kopf schütteln. Ich meine sogar, dass die Bibel Jona hier mit Ironie präsentiert. Die Heilige Schrift will uns die ganze Lächerlichkeit von Jonas Handlungen und Worten zeigen.

Wiederum schrie alles in der Natur Jona an: „Wirklich, Jona? Du machst dir mehr aus einer Pflanze als aus all den Menschenleben in Ninive? Du denkst wirklich, dass es gut für dich ist, so sauer zu sein?“ Aber Jona verstand es einfach nicht. Ganz im Gegenteil: Jona war jetzt noch mehr von dem Wunsch erfüllt zu sterben: Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod.

Jona war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Er reduzierte seine Wirklichkeitswahrnehmung auf das, was er selbst begehrte. Er verhielt sich wie ein kleines Kind, das mit Trotz reagiert, wenn es nicht das bekommt, was es will. Jona war ein Narzisst. Sein Wunsch zu sterben war einzig und allein davon motiviert, was er gerade für sich selbst begehrte. Jona interessierte es überhaupt nicht, was Gott dazu zu sagen hatte. Das Einzige, was ihn interessierte, war, was ihm momentan selbst richtig erschien.

In den ersten drei Versen haben wir gesehen, dass es Jona an einem richtigen Verständnis von Gnade mangelte. Hier sehen wir nun, dass es Jona an einem richtigen Verständnis über sich selbst fehlte. Er nahm sich selbst viel zu ernst, und er empfand sich als ungemein wichtig. Und gerade deshalb war es ihm nicht möglich, seine Sicht auf Gottes Gnade zu ändern. Jonas Welt war viel zu klein, denn Jonas Welt war viel zu voll von ihm selbst.

Lange vor der Russischen Revolution des Jahres 1917 gab es bereits größere Aufstände unter der russischen Bevölkerung. Diese wollte soziale Veränderungen. Das Volk Russlands war eines der ärmsten Völker Europas, und die Romanows, die die regierende Familie stellten, interessierten sich nicht für die Lage ihres Volkes. Sie lebten in ihren Palästen in einem solchem Prunk, dass sie überhaupt nicht verstanden, was direkt vor ihren Augen passierte. Als die Revolution dann ausbrach und die Romanows hinwegfegte, war das für die meisten Menschen in Russland keine Überraschung. Aber die Romanows selbst sahen bis zum Schluss nicht, was auf sie zukam. Ihre Sicht auf die Welt war viel zu sehr von Palästen und Prunk bestimmt. Die Romanows nahmen sich selbst viel zu ernst, und sie empfanden sich als viel zu wichtig. Sie verstanden nicht, dass Russland mehr war als die Romanows. Ihre Welt war schlicht zu klein.

Jonas Zorn zeigt in ähnlicher Weise, wie klein die Welt dieses unwilligen Propheten war. Sein Zorn illustriert, was Jona liebte und worüber er sich Sorgen machte. Er lebte in Selbstgefälligkeit, und somit interessierte er sich nicht für eine breitere Sicht auf die Welt. Seine Mission war nicht größer als Jona selbst.

Ich befürchte, dass auch wir bei der Verkündigung des Evangeliums zu Narzissten werden können. Haben möglicherweise auch wir eine Sichtweise darüber, was Gott in der Welt alles tun müsste, und diese Sichtweise ist nicht in Übereinstimmung mit der Sicht Gottes auf die Dinge? Vielleicht wollen wir, dass Gott das Leid und die Armut in der Welt hinwegnimmt, und wir sind sauer, weil er das noch nicht getan hat. Vielleicht wollen wir nicht über Buße und das Gericht Gottes sprechen, obwohl Gott will, dass wir genau dieses allen Menschen bezeugen.

Reagieren wir mit Ärger, wenn Gott nicht nach den Regeln spielt, die wir uns ausgedacht haben? Bemitleiden wir uns selbst, wenn Gott will, dass wir das tun, was seinem Willen entspricht, und nicht das, was in unseren Augen als angemessener erscheint? Machen auch wir manchmal Mission oder Verkündigung zu etwas, bei dem es zentral um uns selbst geht?

Die Lösung für Jonas und auch für unseren Narzissmus besteht darin zu erkennen, dass es bei Mission schlicht nicht um uns geht. Wir verkündigen das Evangelium nicht, weil wir davon persönlich einen Vorteil haben. In der Mission rufen wir andere in die Jüngerschaft. Mehr noch: Bei der Mission und der Verkündigung geht es um Gott, der in Übereinstimmung mit seiner gnädigen Natur handelt. Und weil es bei Mission nicht um uns geht, sondern um Gott, dürfen wir darauf vertrauen, dass er am besten weiß, wie und warum die Mission geschehen soll.

Gottes Willen ist in seinem Wesen verwurzelt. Das bringt uns zum dritten Punkt der Wortverkündigung.

  1. … weil Gott barmherzig ist (Jon. 4,10.11)

In den letzten beiden Versen erklärte Gott seinem Propheten, warum er die Pflanze hatte aufgehen und wachsen lassen und was er Jona damit hatte zeigen wollen. Es ging nicht bloß darum zu erkennen, dass Gott barmherzig ist. Jona wusste, dass Gott ein barmherziger Gott ist. Jonas Problem war, dass Gott gegenüber den Niniviten barmherzig war.

In diesen letzten beiden Versen sehen wir, dass Gott sich über Ninive in der gleichen Weise erbarmt hatte, wie Jona sich über den Baum erbarmte. Das heißt: Alle diese starken Gefühle, die Jona im Blick auf diesen Baum hatte, können mit Gottes Sicht auf Ninive verglichen werden. Gott wollte nicht, dass Ninive untergeht, und er freute sich über Ninive.

Die zweifache Frage Gottes an den Propheten Jona, ob es recht sei, wenn er zürne, wird hier folgendermaßen beantwortet: Natürlich ist es nicht rechtens so zu zürnen. Gott handelt gemäß seinem Wesen. In seiner Barmherzigkeit liebte Gott Ninive viel mehr als Jona den Baum, für dessen Gedeihen er niemals einen Finger krumm gemacht hatte.

Es mag uns komisch anmuten, dass Jona die Niniviten so hasste. Aber tatsächlich war es für jeden Israeliten sehr hart, den Auftrag Gottes an Jona zu akzeptieren. Die Israeliten wussten natürlich, dass Gott die ganze Welt mit seinen Segnungen erreichen wollte. Das hatte Gott bereits ihrem Stammvater Abraham in 1.Mose 12 zugesagt. Aber galt das auch für Ninive? Die Niniviten waren Assyrer, und zu Jonas Lebzeiten waren die Assyrer die politische Supermacht. Sie waren heidnische Götzendiener, die sich nicht um den wahren Gott kümmerten. Hinzu kam, dass sie für ihren Terror bekannt waren. Das Assyrische Reich lebte von der Expansion und der Ausweitung seiner Macht. Die Assyrer eroberten ständig neue Gebiete. Sie taten das auch, indem sie eine Art psychologische Kriegsführung entwickelten. Diese Leute waren wirklich böse. Sie taten schlimme Dinge an ihren Feinden: Sie köpften sie, sie verbrannten sie bei lebendigem Leib, sie spießten sie auf Pfähle, sie häuteten sie und praktizierten eine Unzahl verschiedener Foltermethoden.

Jonas Hass auf die Assyrer hatte also gute Gründe. Die Menschen waren zutiefst gottlos und abgrundtief böse. Aber das Gleiche galt für Jona, und das Gleiche gilt für uns. Wir alle benötigen Gnade, und zwar unverdiente Gnade.

Gott will, dass Jona eine Sache versteht: Gottes Barmherzigkeit geht oftmals über das hinaus, was wir als angemessen und richtig empfinden. Gott bringt seine Gnade zu Menschen, zu denen wir niemals gehen würden. Gott begnadigt die Leute, die wir lieber verurteilt sehen würden.

So wird dann auch die zweite Frage, die uns in diesen Versen begegnet, beantwortet: Sollte Gott sich nicht über Ninive, eine Stadt von 120.000 Menschen, erbarmen – so wie Jona sich über den Baum erbarmte? Das ist die alles bestimmende Frage im Buch Jona. Sollte Gott sich etwa nicht über Ninive erbarmen? Sollte Gott nicht das tun, was seinem barmherzigen Wesen entspricht? Und wollen wir wirklich diejenigen sein, die auf Gott sauer reagieren, weil er gerade so handelt wie er handelt?

Hier sehen wir auch Jonas drittes Problem: Er war ein Partikularist. Partikularisten sind Menschen, die sich und die Gruppe, der sie angehören, über alles andere stellen. Es sind Leute, die meinen, sie wären wichtiger, besser oder edler. Zum Beispiel sind im politischen Bereich die Nationalisten ein Teil der Partikularisten. Denn sie leben aus der Idee, dass nur ihr eigenes Land wichtig sei. Jona war genau in dieser Weise ein Partikularist. Er wollte, dass Gottes Barmherzigkeit sich allein über Israel erstreckt.

Es gibt kaum etwas Irritierenderes in der Kirchengeschichte als Christen, die als Partikularisten aufgetreten sind und gehandelt haben und das Evangelium für sich allein beanspruchten, weil sie einer bestimmten Klasse oder einer bestimmten Ethnie angehörten. Das Evangelium ist aber nicht für eine von uns festzulegende Gruppe von Leuten bestimmt, sondern es richtet sich an die ganze Welt.

In der Zeit des Dritten Reiches wurden zum Beispiel Christen aus jüdischen Familien ihrer Pfarrämter enthoben. Zusammen mit der Ideologie des Antisemitismus entwickelten die Kirchen damals die Auffassung, die Kirche sei nicht mit Menschen jüdischer Herkunft kompatibel.

Auch heute haben wir partikularistische Ideen. Etwa wenn wir die Einstellung haben, das Christentum sei etwas Westliches. Oder wir assoziieren die christliche Gemeinde mit einer spezifischen sozialen Schicht. Wir meinen, dass bestimmte Leute eher begnadigt werden sollten als andere. Verkündigen wir das Evangelium den Alten wie wir es den Jungen verkündigen? Gehen wir zu den Reichen genauso wie wir zu den Armen gehen? Oder verkündigen wir das Evangelium lediglich den Leuten, die wir mögen und die uns ähnlich sind? Gehen wir vielleicht nur zu den Leuten, die nicht so „böse“ sind wie die Niniviten oder die Nordkoreaner? Verkündigen wir das Evangelium auch dem Kollegen am Arbeitsplatz, der uns nervt?

Die Umkehrung eines solchen Partikularismus ist die Erkenntnis von Gottes barmherziger Natur. Seine Barmherzigkeit geht oftmals weit über das hinaus, was wir selbst als gut einschätzen und als richtig empfinden.

Schluss und Zusammenfassung

Abschließend möchte ich zusammenfassen, was wir heute aus dem Wort Gottes gesehen haben. Nach Jona 4 gibt es drei große Probleme, die bei uns auftreten können, wenn wir Menschen das Evangelium verkündigen und sie missionieren. Erstens: Es ist denkbar, dass wir gesetzlich sind. Dann benötigen wir ein wahrhaftiges Verständnis von Gottes unverdienter Gnade. Zweitens: Es ist möglich, dass wir uns um uns selbst drehen. Dann haben wir zu begreifen, dass es bei der Verkündigung des Evangeliums nicht um uns geht, sondern um Gott. Drittens, es ist möglich, dass wir Partikularisten sind. Dann haben wir zu erkennen, dass Gottes Barmherzigkeit nicht vor unseren Ansichten haltmacht, wer denn wohl der geeignetere Kandidat für eine Begnadigung Gottes sei.

Das offene Ende des Buches Jona konfrontiert uns mit der folgenden Frage: Gibt es einen Jona in jedem von uns? Ich bin mir sicher, dass es ihn gibt. Aber wie einst Jona, so sind auch wir die Empfänger von Gottes unverdienter Gnade. Das Böse in unserem Herzen, das uns daran hindert, uns darüber zu freuen, worüber Gott sich freut, muss entfernt werden. Gott verspricht uns, dass wenn wir Jesus bekennen und ihm vertrauen, wir mit ihm verbunden sind. Daher haben wir den Geist Gottes empfangen, der konstant daran arbeitet, uns in Jesu Ebenbild zu verwandeln. In Jesus Christus nahm Gott die menschliche Natur an, und er brachte seine Barmherzigkeit zu Leuten wie Jona und zu Leuten wie den Niniviten und nicht zuletzt zu Leuten, wie du und ich es sind.

Wenn wir das Evangelium verkündigen, dann tun wir das, weil wir die gleiche Gnade empfangen haben. Gott hat uns unsere Schuld vergeben, und wir sind jetzt dazu berufen, das Wort von seiner Barmherzigkeit weiterzugeben. Wie Jona sind wir allzu oft unwillige Propheten. Aber Gott ist treu, und er setzt Meere und Winde in Bewegung, um sein Wort dahin zu bringen, wo wir selbst nicht hinzugehen im Sinn haben.

Schlussendlich war es nicht Jona, der Ninive missionierte. Es war Gott, der sich über diese Stadt erbarmte. Und was denken wir, wenn Gott sich über die schlimmsten Sünder erbarmt? Haben wir ein Recht, darüber mit ihm zu disputieren oder zu zürnen? Gott hat sich schließlich auch über uns erbarmt. Vergessen wir bitte nicht: Er hat gerade solchen Leuten wie uns den wahren Jona geschickt.

Amen.