Alle Jahre wieder? Warum nach der Geburt Jesu nicht alles beim Alten bleiben kann

Alle Jahre wieder? Warum nach der Geburt Jesu nicht alles beim Alten bleiben kann

 Wortverkündigung zu Titus 2,11–14

Einleitung

Alle Jahre wieder nehmen wir zur Weihnachtszeit das gleiche Phänomen wahr: Kirchen, sonst eher mäßig besucht, platzen aus allen Nähten. Menschen strömen in die Gottesdienste. Da anders der Andrang kaum bewältigt werden kann, werden mehrere Gottesdienste angeboten. Wer zu spät kommt, also nicht mindestens eine halbe Stunde vor Gottesdienstbeginn anwesend ist, hat trotzdem häufig Pech: Er wird nicht selten keinen bequemen und hörfähigen Platz finden. Oft wird er sich sogar mit einem Stehplatz begnügen müssen. Man reibt sich teilweise verwundert die Augen: Menschen, die sonst durch nichts und durch niemand zu einem Kirchgang bewegt werden können, oder lediglich bei Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen das Kirchenportal durchschreiten, betreten das Gebäude mit dem Verlangen nach weihnachtlicher Stimmung. Sie bemühen sich, nett zueinander zu sein und Streit zu vermeiden.

Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man annehmen, es herrsche Erweckung. Dass dem nicht so ist, wird bereits am darauf folgenden Sonntag deutlich. Die Kirchen sind wieder leer. Es kehrt wieder Funkstille ein. Nichts hat sich geändert. Die Menschen leben im selben Trott wie bisher und zeigen die gleichen Verhaltensweisen wie zuvor. Man streitet sich, betrügt und redet schlecht übereinander. So verläuft dann das ganze Jahr… bis zum Dezember des Folgejahres. Dann beginnt das gleiche Spiel von vorne.

Darf man so mit dem Kommen Christi in dieser Welt umgehen? Ist es möglich, Weihnachten zu feiern, und danach alles beim Alten zu belassen? Kann es so etwas geben, wie ein „Weihnachtschristentum“, ein Christentum, das Weihnachten in der betreffenden Jahreszeit konsumieren will, aber den Rest des Jahres nicht nach Gott fragt?

Im Brief des Apostels Paulus an Titus steht ein Abschnitt, der derartige Fragen beantwortet. Paulus gibt in diesen Versen drei Argumente, die deutlich machen: Ein „Weihnachtschristentum“ kann es nicht geben. Wer von der Geburt Christi in rechter Weise weiß, kann nicht so leben, als wäre nichts geschehen.

Zur Situation in Kreta

Aus dem ersten Kapitel des Titusbriefes erfahren wir, dass Paulus seinen engen Mitarbeiter Titus auf die Insel Kreta beorderte und ihn dort mit der Gemeindeaufbauarbeit beauftragte. Kreta war damals ein berüchtigtes Fleckchen Erde. Die kretische Bevölkerung hatte einen schlechten Ruf. Die Bewohner galten als ausgesprochen verdorben, als Lügner, zügellos, konfliktsüchtig, wild und unmoralisch.

Unter solchen Leuten sollte Titus seinen Dienst verrichten. Seine Aufgaben waren vielfältig, und sie forderten seinen ganzen Einsatz. Offensichtlich hatte das Evangelium die Insel noch nicht lange vorher erreicht. Es herrschte noch Pioniersituation. Verschiedenes war noch nicht geregelt. Zum Beispiel herrschte in den jungen Gemeinden ein Mangel an Aufsicht, Lehre und Lenkung. Es fehlte an ordentlicher Leitung in den Gemeinden. Folglich gehörte es zu den vordringlichsten Aufgaben des Titus, in den Gemeinden Älteste einzusetzen (Tit. 1,5ff.).

Daneben galt es, Irrlehrern entgegen zu treten. Möglicherweise waren die Gemeinden gerade deswegen so gefährdet, weil es keine klaren Verantwortlichkeiten in den Ortsgemeinden gab. Paulus schreibt, dass durch die Ansichten der Irrlehrer ganze Familien kaputt gemacht worden waren (Tit. 1,11). Mit anderen Worten: Die Verkündigung der Irrlehrer brachte die Menschen von dem allein Heil bringenden Evangelium ab.

Einige Kennzeichen ihrer ins Verderben führenden Lehre werden uns berichtet: Einerseits verbreiteten die Leute judaistisches Gedankengut. Sie forderten die Einhaltung von Reinheitsgeboten, also von Vorschriften, die Christus bereits in Markus 7,7 als von Menschen ausgedachte Auflagen bezeichnet hatte (Tit. 1,10–16).

Dann aber wurden auch Lehren verbreitet, die eine fehlende Distanziertheit zum heidnisch–kretischen Umfeld verrieten. Paulus erinnerte an einen damals verbreiteten Schmähruf: „Die Kreter sind seit jeher Lügner, böse Tiere und faule Bäuche“ (Tit. 1,12). Das heißt: Die Leute lagen auf der faulen Haut und überlegten, wie sie am besten ihren Magen vollschlagen könnten. Lügen, Rauben, Faulenzen, Fressen, galten als Synonyme für die kretische Lebensweise. Paulus bezog diese Einstellungen auf falsche Lehrer. Damit macht er deutlich: Diese Leute wissen von keiner Grenze zum Heidentum. Sie geben sich als Christen aus, aber ihr Lebenswandel spricht eine deutlich andere Sprache. Sie verhalten sich genau wie die anderen Kreter.

Ihre kranke Lehre führte zu einer Lebensweise, die ins Verderben mündete. Lehrmäßige Verworrenheit zog Unmoralität nach sich. Diese Situation hatte dramatische Folgen für die Verbreiter dieser Ideen selbst sowie für die durch sie verführten Christen! Schlimmer noch: Das Evangelium geriet deswegen in Gefahr, verlästert zu werden. Die missionarische Kraft des Evangeliums galt als akut gefährdet. Letztlich stand die Mission insgesamt auf der Kippe.

Der Grund war deutlich: In der heidnischen Umgebung fiel das Verhalten derer, die sich zum Evangelium bekannten, auf das Evangelium selbst zurück. Für Außenstehende waren Botschaft und Botschafter so eng miteinander verbunden, dass man das Evangelium mit dessen Verkündigern identifizierte. Vom Verhalten der Christen schlossen die Ungläubigen auf das Evangelium. Wenn Christen stahlen, zogen sie die Folgerung, der Inhalt des Evangeliums sei eine Botschaft der Diebe. Wenn Christen logen, hieß das für sie, Christen würden eine Botschaft der Lüge vertreten. Eine Unterscheidung zwischen Inhalt der Botschaft und Träger der Botschaft fand nicht statt. Folglich war das Ansehen des Evangeliums akut gefährdet.

Angesichts dieser Lage erhielt Titus den Auftrag, den falschen Lehrern kompromisslos entgegenzutreten, ihnen „den Mund zu stopfen“ (Tit. 1,11). Aber nicht nur das: Titus hatte außerdem den Auftrag, die Alternative dazu zu verkünden. Er sollte den krankhaften Ideen der Irrlehrer die gesunde Lehre entgegensetzen: „Du aber rede, was der gesunden Lehre entspricht!“ (Tit. 2,1).

Das hieß: Unterrichte die Gemeinden, welcher Lebenswandel dem Evangelium entspricht! Mache den Christen klar, wie sie durch ihre Lebensführung dem Evangelium nicht im Weg stehen, sondern es fördern. Die Menschen sollen sagen: „Dieses Evangelium muss eine sehr gute Botschaft sein, denn ich habe festgestellt, wie dieser oder jener Christ sein Leben führt. Es ist so anders, wie er mit seiner Frau umgeht, wie er seine Kinder erzieht, wie er seine beruflichen Pflichten erfüllt, wie er sich zum anderen Geschlecht verhält… Ich will einmal hören, was bei ihnen verkündigt wird.“

Um dieses Ziel zu erreichen sollte Titus die einzelnen Gruppen in den Gemeinden in der richtigen Lebensführung unterweisen: Die älteren Männer werden aufgefordert, nüchtern, ehrbar und besonnen zu sein. Die älteren Frauen ermahnt er, eine Lebensführung an den Tag zu legen, die der Würde des heiligen Christenstandes entspricht. Junge Männer fordert er auf, in allem besonnen und beherrscht zu sein. Jede Gruppierung in den Gemeinden wird zu einem vorbildlichen Handeln in den jeweiligen sozialen Beziehungen aufgefordert (Tit. 2,2–10). Der Apostel fasst dies in dem Satz zusammen: „Der Lehre Gottes, unseres Retters, sollen sie in jeder Hinsicht Ehre machen“ (Tit. 2,10).

Gleich darauf folgt unser Abschnitt, in dem der Apostel die Begründung für eine solche Lebensführung gibt. Er macht den Christen klar, warum sich bei ihnen der Lebenswandel finden muss, den er in Titus 2,1–10 gefordert hat. Das erste Argument dafür, dass nicht alles beim Alten bleiben kann, lautet: „Denn die Gnade Gottes ist erschienen, die Heil bringend ist für alle Menschen“ (Tit. 2,11). Das heißt:

1. Christen sind gerufen, vorbildlich zu leben, weil Gott, ihr Heilbringer, erschienen ist.

Der Apostel begründet die Notwendigkeit eines vorbildlichen Lebenswandels mit dem Erscheinen der Gnade Gottes.

Was meint „Erscheinen“? Der Begriff, der im griechischen Grundtext steht, bedeutet: „Vorzeigen“ oder „Licht auf etwas werfen“. Gewöhnlich wird er im Passiv gebraucht und bedeutet dann so viel wie: „sich öffentlich oder vor den Leuten zeigen, hervortreten“. Dabei ist an ein plötzliches oder unerwartetes Hervortreten gedacht. Der Begriff wird häufig für die Anwesenheit (Epiphanie) eines Gottes oder eines Herrschers verwendet. Dieses Erscheinen hat den Nebensinn von „helfendem Eingreifen“. Genau das ist der Sinn an dieser Stelle: „Die Gnade Gottes ist erschienen, Heil bringend für alle Menschen“.

Denkt Paulus bei dem „Erscheinen der Gnade“ an die Zeit, als die Missionsarbeit auf der Insel Kreta begann, also als er und seine Helfer auf Kreta das Wort Gottes predigten, evangelisierten? Dann wäre jene Zeit gemeint, als den Kretern im wahrsten Sinne des Wortes „ein Licht aufging“, als sie infolge der Evangelisationspredigt die Gnade Gottes im Glauben erfassen konnten.

Oder hat Paulus das erste Kommen Christi im Sinn? Die Menschwerdung des Sohnes Gottes? An Christi Kommen in Niedrigkeit zu denken, liegt näher. Denn diese Deutung entspricht einer anderen Aussage des Apostels: „Jetzt aber ist die Gnade offenbar geworden, als Jesus Christus, unser Retter, erschien“ (vergleiche 2Tim. 1,10).

Allerdings dürfen wir bei „Erscheinen der Gnade Gottes“ keineswegs nur an die Geburt Jesu denken. Vielmehr umfasst „das Erscheinen der Gnade Gottes“ den gesamten Dienst des Sohnes Gottes hier auf dieser Erde, bis hin zu seinem stellvertretenden Leiden und Sterben am Kreuz und seiner Auferstehung aus den Toten.

Wenn Paulus hier auf dieses Erscheinen der Gnade Gottes hinweist, macht er klar: Christen sind deswegen dazu aufgerufen, anderen Menschen Gutes zu tun, weil Gott selbst seine Wohltätigkeit offenbart hat. Warum können ältere Männer sich nicht mehr hemmungslos betrinken? Warum können sie ihre Familien nicht mehr wie Despoten führen, sondern führen ein Leben in Besonnenheit? Warum haben sich verheiratete Frauen liebevoll um ihre Ehemänner und ihre Kinder zu kümmern und gewissenhaft ihre Arbeit im Haushalt zu erledigen? Warum können sie nicht mehr außereheliche Beziehungen eingehen? Die Antwort auf all diese Fragen lautet: Weil die Gnade Gottes erschienen ist! Weil Gott seine Güte über uns hat aufstrahlen lassen!

Aus diesem Grund ist es mehr als selbstverständlich, dass Gottes Kinder sich ähnlich wie ihr Vater verhalten. Darum gilt für sie das Gebot: „Ihr sollt heilig sein, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig“ (3Mos. 19,2). Oder denken wir an das Wort unseres Herrn: „Liebt eure Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen, und bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel seid. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr die liebt, die euch lieben, was habt ihr für einen Lohn? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr Besonderes? Machen es nicht auch die Zöllner ebenso? Darum sollt ihr vollkommen sein wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!“ (Mt. 5,44–48). Auch das Verhalten des hartherzigen Schuldners (Mt. 18,23–35) ist deswegen nicht akzeptabel, weil Gottes Gnade erschienen ist und Gott kundgetan hat, dass er Menschen vergeben hat. Aus diesem Grund kann ein Christ kein egoistisches, selbstbezogenes Leben mehr führen. Vielmehr ist nun, nachdem Gottes Gnade einmal in der Geschichte offenbart ist, Liebe und Vergebungsbereitschaft die Verhaltensnorm für jeden Christen.

In den folgenden Versen führt der Apostel ein weiteres Argument an, warum nach dem Kommen Christi bei uns nicht alles beim Alten bleiben kann: „Die Gnade nimmt uns in Zucht, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen und besonnen und gerecht und gottesfürchtig leben in der jetzigen Weltzeit, indem wir die glückselige Hoffnung erwarten und die Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Retters Jesus Christus“ (Tit. 2,12–13). Das heißt:

2. Christen sind gerufen, vorbildlich zu leben, weil Gottes Gnade zum Gutestun erzieht und ein Erwarten seiner Wiederkunft weckt.

Die in der Vergangenheit erschienene Gnade Gottes ist so mächtig, dass sie in der Gegenwart fortwirkt. Sie übt auch rund 60 Jahre nach der Geburt Jesu, als der Titusbrief verfasst wird, im Leben der Christen auf Kreta und im Leben des Apostels („uns“) ihre Kraft aus, so dass sie die Glaubenden unterweist und erzieht („in Zucht nimmt„). Paulus nennt hier einen negativen und drei positive Lehrinhalte.

Zunächst spricht er von Verleugnung der Gottlosigkeit sowie der weltlichen Begierden. Es geht um ein entschiedenes „Neinsagen“ gegenüber gottlosem und weltlichem Verhalten. Gottlosigkeit meint ein Verhalten fehlender Verehrung gegenüber dem wahren Gott. Diese führt dann in den Götzendienst, einschließlich der damit verbundenen bösen Praktiken. Es geht um einen Lebenswandel im Unglauben, in dem man von Gott nichts wissen will. Ein Mensch, der so lebt, will sein eigener Herr sein. Er rechnet nicht mit Gott. – Bei weltlichen Begierden ist an sündige Leidenschaften gedacht, die einem unreinen Herzen entspringen und kennzeichnend sind für die im Aufstand gegen Gott sich befindende Welt. An anderer Stelle benennt Paulus, worum es konkret geht: Ungerechtigkeit, Unzucht, Schlechtigkeit, Habsucht, Neid, Mordlust, Streit, üble Nachrede, Unversöhnlichkeit, usw (Röm. 1,24ff).

Die Gnade erzieht den Christen dazu, sich von solchem Verhalten entschieden abzuwenden, es zu verleugnen und so zu handeln, wie Christus es von seinen Nachfolgern verlangt hat: „Wenn jemand mir nachkommen will, so verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach!“ (Luk. 9,23). Wir können hier auch an eine Aussage über Mose denken: „Durch Glauben weigerte sich Mose, als er groß geworden war, ein Sohn der Tochter des Pharao zu heißen“ (Hebr. 11,24). Mose verleugnete deswegen seine Herkunft, weil sie mit Gottlosigkeit und dem Genuss weltlicher Begierden verhaftet war.

Aber die Unterweisung der Gnade ruft nicht nur zur Vermeidung auf, sie bringt auch neue Verhaltensweisen hervor. Sie befähigt Christen „besonnen, gerecht und gottesfürchtig zu leben“ (Tit. 2,12).

Besonnenheit ist das Merkmal eines Menschen mit einem gesunden Verstand, der diesen so einsetzt, dass er in unterschiedlichsten Situationen angemessen reagiert. Gerecht
meint aufrichtiges, rechtschaffenes Verhalten. Dabei geht es um die Übereinstimmung zwischen Reden und Handeln. Mit gottesfürchtig ist ein Lebensstil gemeint, der von Gott bestimmt wird. Die Gnade, die erschienen ist, wirkt also so, dass Christen alte Verhaltensweisen wie Gottlosigkeit und weltliche Begierden ablegen und neue Verhaltensweisen anlegen: Besonnenheit, Gerechtigkeit und Gottesfurcht.

In Vers 13 nennt Paulus eine weitere Wirkung der in der Geschichte offenbar gewordenen Gnade Gottes. Sie bewirkt noch mehr als die Heiligung des persönlichen Lebens. Sie führt zu einer „glückseligen Erwartung„. Alle, die von der Weihnachtsgnade ergriffen worden sind, sind durch eine Erwartung vereint: Jesus Christus kommt bald wieder. An dieses Verlangen denkt der Apostel, wenn er von der „glückseligen Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters“ spricht. Diese „Herrlichkeit unseres großen Gottes und Retters“ ist niemand anders als Jesus Christus selbst.

Wie aber haben wir uns nun diese Erziehung konkret vorzustellen? Wie vollzieht sich diese Erziehung? Wie wirkt sich die in der Vergangenheit geschehene Offenbarung der Gnade in der Gegenwart prägend aus?

Auf diese Frage gibt Paulus in unserem Abschnitt nicht ausdrücklich eine Antwort. Aber wir gehen nicht fehl, wenn wir hier in erster Linie an das verkündete Wort Gottes denken. Denn: „Der Glaube kommt aus der Verkündigung, die Verkündigung aber durch das Wort Gottes“ (Röm. 10,17). Zu erinnern ist auch an das Bekenntnis des Apostels: „Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht, denn es ist Gottes Kraft zur Errettung für jeden, der da glaubt, zuerst für den Juden, dann auch für den Griechen“ (Röm. 1,16).

Das Wort Gottes ist das
Heilsmittel schlechthin. Das Wort von Christus ist insofern die alles bestimmende Größe, als es das Wort vom Kreuz ist (1Kor. 1,18), von der Versöhnung (2Kor. 5,19) und vom Leben (Phil. 2,16). Indem uns dieses Wort die Gnade Gottes vor Augen stellt, die sich in der Menschwerdung Christi kundgetan hat, ist es Heilsmittel, und wenn wir es auf unseren Abschnitt beziehen: Erziehungsmittel.

Immer wieder verweisen die Schreiber des Neuen Testamentes ihre Adressaten auf die Gnade Gottes, die im ersten Kommen Christi erschienen ist. Im Anschluss daran rufen sie zu einer vorbildlichen Lebensführung auf. Denn es ist das Kommen Christi, das erzieht und ein neues Verhalten (Tit. 2,12) und eine lebendige Hoffnung (Tit. 2,13) hervorbringt.

Nach dem Erscheinen der Gnade Christi kann nicht mehr alles beim Alten bleiben. Die Verhältnisse haben sich so geändert, dass es zu einer Umgestaltung des Lebens kommt. Denn die Gnade erzieht. Sie zieht zu Christus. Sie nimmt in seine Zucht! Ja, sie weckt die frohe Erwartung: Christus kommt bald!

Schließlich führt der Apostel einen dritten Grund dafür an, dass aufgrund des Erscheinens der Gnade nicht alles beim Alten bleiben kann: „Christus hat sich selbst für uns hingegeben, um uns von aller Gesetzlosigkeit zu erlösen und für sich selbst ein Volk zum besonderen Eigentum zu reinigen, das eifrig ist, gute Werke zu tun“ (Tit. 2,14). Das heißt:

3. Christen sind gerufen, vorbildlich zu leben, weil dies der Zweck des Heilshandelns Gottes ist.

Nach dieser Aussage zielt Gottes Heilswerk in Christus darauf, sich ein besonderes Volk zu erschaffen. Der Zweck des Heilshandelns Gottes ist ein Volk, das „eifrig ist„, gute Werke zu tun, das begierig danach strebt, anderen Menschen Gutes zu tun.

Dabei unterscheidet der Apostel zwei Aspekte: Christus ist gekommen, erstens: „um uns von aller Gesetzlosigkeit zu erlösen„, und zweitens, um „für sich selbst ein Volk zum besonderen Eigentum zu reinigen, das eifrig sei, gute Werke zu tun„. Es geht also sowohl um Erlösung von der Gesetzlosigkeit als auch um Reinigung zu guten Werken.

Gesetzlosigkeit“ meint die aktive, sich in Taten zeigende Übertretung des Gesetzes Gottes, zum Beispiel der Zehn Gebote. Das Kommen Christi bezweckte, uns von einem solchen Verhalten zu erlösen. Der Sohn Gottes wurde dazu ein Kind in der Krippe, und er gab sich dazu dahin, damit er uns von der Gesetzlosigkeit erlöst.

Bei der Formulierung „um sich ein Volk zum besonderen Eigentum zu reinigen“ geht es um das Sühnewerk Christi. Was dieses stellvertretende Sühneopfer Christi in der Konsequenz heißt, formuliert der Heidelberger Katechismus so herrlich in der Antwort auf Frage 60: „…als hätte ich nie eine Sünde begangen noch gehabt und selbst all den Gehorsam vollbracht, den Christus für mich geleistet hat.“

Der Neue Bund, den Jeremia verhieß (Jer. 31,31ff), fand im Heilswerk Christi seine Erfüllung: „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und es in ihren Sinn schreiben und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein“ (Hebr. 8,6–12; 10,16–17). Seit dem Kommen Christi ist dieses Volk, seine Gemeinde, von der Gesetzlosigkeit erlöst und zu seinem besonderen Eigentum gereinigt, um eifrig gute Werke zu verrichten.

Christen sind also deswegen gerufen, vorbildlich zu leben, weil das gesamte Heilshandeln Gottes auf die Bildung eines solchen Volkes zielt. Seitdem Christus gekommen ist, kann es nicht sein, das ein Christ ein Leben führt, in dem er nicht anderen Gutes tun will. Folglich kann nach der Geburt Christi nicht mehr alles beim Alten bleiben.

Wer das verstanden hat, was durch das Kommen Christi geschah, wird gegenüber anderen Menschen ein vorbildliches Leben zu führen suchen. Er wird nicht sündlos. Aber er wird je länger desto mehr bestrebt sein, einen vorbildlichen Lebenswandel zu führen. Warum? Weil er erstens den einen einzigartigen Heilsbringer erkannt hat, weil ihn zweitens Gottes Gnade zum Wohltun erzieht und zum Erwarten der Wiederkunft Christi treibt, weil drittens Gottes gesamter Heilsplan darauf zielt, sich ein Volk zu schaffen, dass ihn durch gute Werke ehrt. Gott gebe uns, dass wir das, was zu Weihnachten geschah, recht erfassen! Ehre sei Gott.

Amen!